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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

ich anfänglich für eine später zu veranstaltende Sammlung wichtiger gerichtsärztlicher Verhandlungen bestimmt hatte, mit Bewilligung der Kriminalbehörde, schon jetzt öffentlich bekannt zu machen, und die zur allgemeinen Uebersicht der Sache gehörigen Nachrichten aus den Akten hinzuzufügen.

Jeder gebildete Leser wird aus dieser Schrift nicht nur die ganz eignen Schicksale des Delinquenten, sondern auch die Thatsachen, welche Zweifel an dessen Zurechnungsfähigkeit erregten, und die Gründe, welche für die letztere entschieden haben, vollständig kennen lernen. – Dem Psychologen werden die sonderbare Mischung des Charakters, und die Aeusserungen dieses Menschen, Stoff zu mannigfaltigen Betrachtungen geben. – Der Rechtsgelehrte wird den eigenthümlichen Gang dieses Prozesses bemerkenswerth finden, der nach zweimaliger Vertheidigung des Inquisiten, nach Fällung eines gleichlautenden Urtheils durch zwei verschiedne Dikasterien, und nach landesherrlicher Bestätigung desselben, bis zur Vollstreckung der Execution fortgeschritten war, aber noch im letzten Augenblicke, auf die einfache Anzeige eines Privatmannes, zu einer ganz neuen Untersuchung führte, welche die Bestätigung des ersten Urtheils zur Folge hatte. – Dem Gerichtsarzt endlich bietet diese Schrift die sehr schwierige Bearbeitung eines zweifelhaften Seelenzustandes dar, der in Rücksicht auf den Umfang der zu beurtheilenden Thatsachen, in den Annalen dieser Wissenschaft, meines Wissens, keine gleich kommt. Alle Leser aller Stände aber werden, wie ich hoffe, Gelegenheit haben sich zu überzeugen, daß bei dieser, Leben und Tod entscheidenden Untersuchung, mit Fleiß, Gewissenhaftigkeit und treuer Wahrheitsliebe zu Werke gegangen worden ist. Dieselbe Wahrheitsliebe und Gewissenhaftigkeit macht es mir zur Pflicht dem würdigen Vertheidiger dieses Delinquenten, Herrn Handelsgerichtsaktuarius Hänsel, obgleich er in dieser Sache mein Gegner gewesen ist, hier öffentlich zu bezeugen: daß er mit unermüdetem Eifer, und mit dem rühmlichsten Aufwand von Scharfsinn und Kenntnissen seinem Schutzbefohlnen gedient, und bis zum letzten Augenblick kein Gnadenmittel unversucht gelassen hat, um die Erlassung der Todesstrafe zu erwirken. Zugleich fühle ich ihm mich zu dem aufrichtigsten Danke verbunden, daß er nicht mit den bekannten Waffen der Defensoren vom gewöhnlichen Schlage gegen mich in die Schranken getreten ist, sondern mit der Ruhe und dem Anstand, wie sie gebildeten und ihres Faches kundigen Männern gegen andere Sachverständige geziemt, meine Ansichten bestritten hat.

Und so hoffe ich denn, daß durch Lesung dieser Schrift das Publikum sich in der Ueberzeugung bestärken werde, daß alle Diejenigen, denen auf die Entscheidung dieses wichtigen Rechtsfalles einiger Einfluß zu Theil geworden ist, ihre Pflicht, so weit nur immer menschliche Kräfte

Empfohlene Zitierweise:
Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_489.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)