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das Wort, dem Volke vielfach eindringlicher als das Wort. Die Welt war frömmer, so lange noch die christliche Symbolik ihr geläufig, Laien wie Priestern innig vertraut war, so lange noch Jedermann die Bilder verstand, mit denen Kunst die Kirchen schmückte, und in der Natur selbst noch eine reichere Bilderbibel fand. Die Welt war frömmer, als man noch wusste, welche kirchliche Symbolik sich an jede Jahreszeit, ja an jeden Tag im Jahre und an den Namen seines Patrons knüpfte, als man noch in den Naturerscheinungen jeder Jahreszeit und selbst in Thieren, Pflanzen und Gesteinen das Symbolische erkannte, die Signatur des Heiligen in aller Creatur.

Nur zu lange ist diese Erkenntniss geschwächt und fast ganz verloren. Schon seit vielen Menschenaltern hat die sogenannte classische Bildung das Christliche in den Gesinnungen und Gedanken wie im äussern Leben zurückgedrängt und so sehr das Heidnische gepflegt, dass die meisten unter unsern Gelehrten und Dichtern die Tiefe des Christenthums so wenig mehr ahnen, als einst Lucian sie noch nicht ahnte. Die Kirche sah sich theils ihrer alten Bilder beraubt, theils musste sie in ihren geweihten Räumen selbst die Erinnerungen und Zeichen jenes Heidenthums und unter christlichen Namen antike Gestalten aufnehmen. Es wurde zur Gewohnheit, auch bei Kirchenbildern nur an die Meisterschaft des Pinsels und die geistreiche Manier zu denken, nicht mehr an den Inhalt. Die ganze neuere Kunstkritik und Kunstgeschichte ist in dieser Richtung ausgebildet

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite V. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_p_012.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)