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ihnen ihr Heil. Als das Kind aber geboren war, taufte es der Papst und nannte es Johannes. Als es sieben Jahre alt war, betete es inbrünstig vor dem Bilde der heiligen Jungfrau. Da sagte diese zu ihm: „Küsse mich!“ und er küsste sie und durch den Kuss theilte sie ihm die herrliche Gabe der Weisheit und Beredsamkeit mit, also dass er zum Staunen Aller als ein so junger Knabe wie der älteste Lehrer predigte. Um seinen Mund aber zog sich auch zugleich sichtbar ein goldner Reif, jenes himmlischen Kusses unauslöschliches Andenken. Als der Knabe nun sechszehn Jahre alt geworden, weihte ihn der Papst zum Priester und gab ihm eine reiche Pfründe. Aber Johannes wollte kein irdisches Gut und entwich heimlich in eine Wüste, in der er ein frommes Einsiedlerleben führte. Darum neidete ihn der Teufel und fuhr einst als grausamer Wind unter die Fräulein des Hofes und hob die schöne Königstochter in die Höhe und führte sie hoch durch die Lüfte zur einsamen Zelle des heiligen Johannes. Da sie den Weg zur Heimkehr nicht wusste und sich vor den wilden Thieren fürchtete, flehte sie ihn an, bei ihm bleiben zu dürfen, und da hatte der Teufel seine Freude, denn ihre Schönheit und Unschuld verführte den Jüngling mehr, als es buhlerische Künste je vermocht hätten. Allein er blieb standhaft und, um nicht länger der Verführung ausgesetzt zu seyn, entschloss er sich, das schöne Königskind lieber umzubringen, und stiess sie in einen Abgrund hinunter. Zur Busse aber übernahm er, das unwürdige Leben eines Thieres zu führen, kroch auf allen Vieren im Wald umher und wurde endlich nach fünfzehn Jahren als ein Wild von Jägern eingefangen, welche ausgezogen waren, Wildpret zu einem Tauffest zu schiessen. Die Mutter der schönen, von Johannes ermordeten Prinzessin hatte nämlich ein zweites Kind geboren. Als nun Johannes als ein wildes Ungeheuer bei Hofe verlacht und herumgestossen wurde, sagte plötzlich das neugeborne Kind zu ihm: „Johannes, du sollst mich taufen.“ Da betete Johannes und zur Stunde fiel das Moos und der Wust des Waldes von ihm, und er stand da in

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_539.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)