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(hist. imag. p. 274) ereifert sich sehr ohne Noth gegen die Bilder der letztern Art. Er findet es in hohem Grade unanständig, ja ketzerisch, dass in den Lichtstrahl, der von Gott ausgehend die heilige Jungfrau befruchtet, ein kleines Kind gemalt werde. Die Kirche stelle fest, dass Christus erst in Maria selbst Fleisch angenommen habe, er könne es mithin nicht schon aus dem Himmel mitgebracht haben. Allein das kleine Kind im Lichtstrahl soll gar nicht einen fleischlichen Embryo, sondern lediglich die Seele bedeuten nach einem althergebrachten Typus in der abendländischen Kirchenmalerei. Es muss befremden, dass schon vor mehr als zweihundert Jahren zur Zeit jenes Molanus die Verständniss der orthodoxen Bildnerei so gänzlich vergessen war.

Das Kind ist ferner Sinnbild der Unschuld, der ersten paradiesischen Reinheit, wie der künftigen Seligkeit. Unmittelbar nach der Geschichte vom Pharisäer, der sich überhebt: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie dieser,“ und vom Zöllner, der demüthig an die Brust schlägt und spricht: „Gott sey mir Sünder gnädig,“ folgt bei Lukas 18, 15. unmittelbar nach dem Gespräche über die Ehe bei Matthäus 19, 13. und Markus 10, 13. die Geschichte von den kleinen Kindern, die man zum Heiland bringt, dass er sie segne. Die Jünger wollen die lästigen Kinder fortjagen, aber Christus spricht: „Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes. Wer nicht das Reich Gottes nimmt wie ein Kind, der wird nicht hinein kommen.“ Abgesehen von der symbolischen Bedeutung ist hervorzuheben, dass der Heiland die Kinder in seinen besondern Schutz nimmt, eine zarte Aeusserung göttlicher Liebe, die sich weder im Heidenthum noch Judenthum findet.

Heilige, die noch Kinder waren, sind der heilige Vitus, Wendelin, die heilige Regiswinde. Besondere kirchliche Verehrung geniessen die „unschuldigen Kinder“, welche Herodes zu Bethlehem umbringen liess. Sie sind eigentlich die ersten Martyrer, aber unbewusst und ungetauft. Daher ihnen ihre Stelle am untersten Saum des Himmels angewiesen ist. Vgl.

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_476.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)