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hatte und gestorben, aber wieder in’s Leben erwacht war, erzählte er Alles, was er in jener Welt gesehen. Er musste, von einem Engel geleitet, einen ungeheuern Berg emporsteigen, zu dessen einer Seite die Feuer-, auf der andern die Eishölle, dort die quälendste Hitze, hier fürchterlicher Frost. Darauf musste er in den Rachen des drachenhaften Acheron hinunterfahren, in dessen Bauch zahllose Teufel in wilden Thiergestalten die Verdammten zerfleischten. Von da erledigt, befahl ihm der Engel, eine Kuh, die er einmal geraubt hatte, auf die Brücke zu treiben, die über den höllischen Pfuhl führte. Die Kuh sträubte sich, Tundal hatte unsägliche Noth mit ihr. Dazu wurde die Brücke immer schmäler und mitten darauf kam ihm Einer mit schweren Garben beladen entgegen, die er gleichfalls gestohlen hatte, und nun sollte Einer dem Andern ausweichen. Endlich erbarmte sich Gott ihrer Angst und liess sie an einander vorbei. Tundal wurde nun in den Himmel eingeführt, und kam durch reizende Gärten zuletzt auf eine hohe Zinne, von wo er die ganze Welt überschaute. Die altdeutsche Uebertragung von Tundals Vision s. in Lachmanns Schriften der Berliner Akad. 1836, S. 160. Hahn, Gedichte des 12ten und 13ten Jahrhunderts 1840. Die Sage hat Vincent. Bellov. spec. morale II. 3. de inferno, Cornerus bei Eccard II. 697 etc. Vgl. Görres, Mystik III. 99. Grässe, Literaturgesch. II. 1. 137. Die Vorstellungsweisen dieser Vision sind einfach und grossartig, vielleicht zum Theil älteren heidnischen Vorstellungen entnommen, die Brücke z. B., die an Bifröst im nordischen und Dschinewad im persischen Glauben erinnert.

Kleinlich sind dagegen die Kämmerlein Orcagna’s und selbst Dante’s allzu künstliche Abtheilungen, überhaupt die scholastischen Bemühungen, Systeme in die Grausamkeit der Höllenstrafen zu bringen. Gerade das Entsetzen leidet keine Berechnung. Jedoch ist es natürlich, dass die Plagen Aegyptens, als die ärgsten über der Erde, sich unter der Erde in der Hölle wiederholen, wie auch die Offenbarung Johannis schon in der Schilderung des letzten Verderbens

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_412.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)