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einige alberne rationalistische Erklärer vermuthet haben. Derselbe Contrast des Niedrigsten und Höchsten findet sich auch in der schönen Fabel wieder, die uns das Buch der Richter Kap. 9. aufbewahrt hat. Die Bäume wollen sich einen König wählen, aber alle, auf welche die Wahl fällt, weigern sich. So der Oelbaum, die Feige, der Weinstock. Da kommen sie endlich an den Dornbusch, der die hohe Würde annimmt, aber seinen neuen Unterthanen auch gleich sagt: „Ist’s wahr, dass ihr mich zum König salbet über euch, so kommt und vertrauet euch meinem Schatten; wo nicht, so gehe Feuer aus dem Dornbusch und verzehre die Cedern Libanons.“

Ganz derselbe Contrast motivirt auch die symbolische Bedeutung der christlichen Dornenkrone. Jene stechenden Dornen, die einst dem Heiland zu seiner Verhöhnung als König der Juden aufgedrückt wurden, sind wirklich die Krone aller Kronen, das Diadem des höchsten aller Herren geworden. Die Krone soll aus dem Hundsrosenstrauch genommen worden seyn, in den seitdem nie ein Blitz einschlägt. Büsching, wöchentl. Nachr. IV. 35.

Eine Geschichte der Dornenkrone des Heilands findet man in Nieremberg, hist. naturae V. 491. Darin wird die Angabe widerlegt, nach welcher man die erste Krone von Weissdorn dem Heiland vor der Kreuzigung abgenommen haben soll, um ihm eine zweite de juncis marinis aufzusetzen. Im südlichen Europa gilt überall der purpurnblühende Weissdorn als die spina santa oder spina Christi (der Schwarzdorn blüht weiss). Nieremberg schildert, mit welcher Feierlichkeit Ludwig der Heilige die echte Dornenkrone nach Paris gebracht, nachdem er sie von den Griechen erkauft habe. Gibbon aber hat in seinem grossen Geschichtswerke (übersetzt von Sporschil 1837) S. 2316 diesen Gegenstand noch ausführlicher behandelt. Die Barone der Romania versetzten während des kurzen lateinischen Kaiserthums in Constantinopel im Jahre 1217 die Dornenkrone den Venetianern, durch grosse Geldnoth dazu gezwungen. König Ludwig von Frankreich löste sie aus. Kaiser Friedrich II. erlaubte ihr den ehrenvollen

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_207.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)