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Brust.

Auf einem altdeutschen Bilde[1] aus der Ulmer Schule (die überhaupt viele bisher unbekannte Symbolik bewahrt) erblickt man Gott den Vater als Kaiser thronend, über ihm den heiligen Geist als Taube, vor ihm Gott den Sohn, dem der Vater den Kelch der irdischen Trübsal reicht, indem er ihn zu seiner Mission einweiht. Unten aber kniet die Jungfrau Maria und entblösst die Brust, um das Kind vom Himmel daran zu empfangen. Das Gegenbild dazu stellt die sterbende Maria dar, deren Seele in kleiner Kindsgestalt von Christo in die Arme genommen wird. Das will sagen: wie sie ihn als Kind auf Erden aufnahm, so nimmt er sie nun wieder als Kind im Himmel auf. Noch ein anderes, eben so sinniges Gegenbild findet sich mehrfach auf Darstellungen des Weltgerichts. Indem hier Maria ihren Sohn als strengen Richter um Gnade für die Sünder bittet, entblösst sie vor ihm die Brust, als wollte sie sagen: An diese habe ich dich gelegt nach deiner irdischen Geburt, vergönne nun auch den Menschen die Wiedergeburt und dass ich ihnen gleiche Pflege im ewigen Leben angedeihen lasse. Molanus, hist. imag. p. 438. Ein solches Bild in Hamburg beschreibt Fiorillo II. 103.

Von dieser zarten Symbolik ist man später in widrige und unziemliche Vorstellungen abgewichen. Auf einem Kirchenbilde in Brixen presst die heilige Jungfrau Maria Milch aus der Brust und spritzt sie in eine Schale, in die auch das Blut aus des Heilands Seitenwunde fliesst. Bilder dieser Art erwähnt schon Molanus, hist. imag. 115. Auf dem Titelkupfer zu Steills (sonst sehr schätzbaren) Ephemeriden des Dominicanerordens ist die heilige Jungfrau eine Brunnenstatue

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Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_157.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)
  1. Aus Unter-Limburg bei Schwäbisch-Hall, wo ich es im Jahre 1843 mit dem Gesicht gegen die Wand gerichtet entdeckte, gegenwärtig in der Sammlung des Württemb. Alterthumsvereins in Stuttgart.