Seite:Christliche Symbolik (Menzel) I 111.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

aber den Martyrertod in Armenien und wurde, wie ihm der Heiland verkündet, lebendig geschunden. Daher ist ein Messer sein Attribut und wird er oft ohne Haut dargestellt, wobei Maler und Bildhauer ihr Studium der Anatomie zur Schau legen. Seine berühmteste geschundene Statue steht, von Agratis Meisterhand gefertigt (mit der lächerlich stolzen Inschrift: Non me Praxiteles sed Marcus pinxit Agrates), hinter dem grossen Altar im Mailänder Dom. Das berühmteste Bild von ihm befindet sich in der sixtinischen Kapelle im Weltgericht des Michel Angelo. Hier hält er geschunden seine eigene Haut im Arme und weist sie als Zeichen seiner Glaubenstreue vor. Man hat ihn in dieser Beziehung den christlichen Marsyas genannt, sofern er für die bildende Kunst im christlichen Gebiet dieselbe Gelegenheit für anatomische Studien darbietet, wie der von Apoll geschundene Satyr Marsyas im antiken. In andern, freundlichern Gemälden führt er nur das Messer, aber die Haut ist nicht von ihm abgesondert.

Abdias in seiner Apostelgeschichte VIII. 2. beschreibt den Apostel als einen schwarz- und krausköpfigen Mann im weissen Gewande mit Purpurstreifen, lässt ihn aber nicht geschunden, sondern enthauptet werden. Nach der römischen Legende dagegen schwamm der geschundene Leichnam, als er in’s Meer geworfen worden, bis nach Rom, wo er bestattet wurde. Nach Sigebertus erschien der Apostel einem Mönche, um ihm zu sagen, er solle seinen Leichnam suchen und nach Benevent bringen. Der Mönch erkannte den Leichnam unter vielen andern, die von den Sarazenen aus ihren Gräbern ausgewühlt waren, bei Nacht an dem die Gebeine umgebenden Glanzlicht.

Die Kirche St. Barthélemy in Paris war vor der Revolution schon berühmt wegen ihrer zahlreichen heiligen Leiber und geschmückten Reliquien. Nachher aber wurde das Théatre de la cité und zuletzt ein Ballsaal, le Prado, daraus gemacht, der berühmt ist durch die unheiligen Leiber der Pariser Hetären.

Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik. Erster Theil. G. Joseph Manz, Regensburg 1854, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Christliche_Symbolik_(Menzel)_I_111.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)