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Zur gegenständlichen Erläuterung der Darstellungen liegen zwei Ausarbeitungen vor, die beide ihrem Ursprunge nach auf Carstens zurückweisen: zunächst der in französischer Sprache geschriebene Text, welchen Koch seinen Radirungen, 1799, beigab, vier zweispaltige Seiten in Querfolio, – und dann die kürzeren Angaben, welche Fernow in seinem Buche über den Inhalt des Werkes macht, 1806, sechs kleine Druckseiten[1]. Carstens selbst schöpfte den Stoff aus dem „Pindar, Orpheus und Apollonius von Rhodus“. Der Koch’sche Text ist nicht durchweg den Quellen gegenüber ganz zuverlässig, auch möchte er wohl nicht ausführlich und erschöpfend genug sein. Allzu kurz und deshalb auch unzulänglich sind aber die Fernow’schen Angaben. Weder bei Koch noch bei Fernow ist irgend ein näherer Hinweis auf die von Carstens benutzten Quellen gegeben worden. Es erschien deshalb angemessen, dass von diesen beiden Erläuterungen hier Abstand genommen werde. Es musste vielmehr auf jene Quellen, also die genannten Dichter selbst, zurückgegangen werden, nicht nur um die Arbeit von Carstens, wie sie vorliegt, auf ausreichende Weise gegenständlich zu erläutern, sondern um auch der Entstehung derselben, der Auffassung und Verarbeitung des Stoffes seitens des Künstlers, nachgehen zu können. Im Allgemeinen hat sich Carstens sehr treu an die Quellen gehalten und einen eigentlich im höheren Sinne dichterisch-schöpferischen Geist bei Benutzung derselben nicht bewährt. Er verhielt sich dem Stoffe gegenüber mehr als Illustrator. Sehr selbständig erfinderisch aber zeigte er sich in Bezug auf die landschaftlichen Theile seiner Darstellungen, über deren Schönheit und Bedeutung schon Einiges hier bemerkt wurde. Selbstverständlich wird da, wo es angemessen erscheint, auch auf den Koch’schen Text und die Fernow’schen Angaben hingewiesen, und es werden gleichfalls etwaige sonstige Ausführungen hinzugefügt werden.

Unter den drei genannten Dichtern steht Pindar (522–442) mit seinem vierten pythischen Siegesgesange obenan. Er verherrlicht in demselben den Sieger im Wagenstreite, den König Arkesilas von Kyrene, indem er die Heldenthaten von dessen Ahnen, nämlich der Argonauten, aus deren Kreise dieser durch Battos, den Gründer von Kyrene, abstammte, preist. Doch lässt er in der Erzählung, namentlich in Betreff der Abenteuer auf der Hinfahrt, gegenüber der späteren Sage, manche Lücke. Seine Darstellung umfasst etwa 300 Verse.

Sehr vollständig ist der Zug von dem rhodischen Apollonios (um 250–200) in dem nach den Argonauten genannten Gedichte geschildert; dasselbe umfasst, in vier Gesänge getheilt, beinahe 6000 Verse.

Es folgt nun ein Unbekannter der Spätzeit, der aus dem vorhandenen Stoffe eine Argonautika von 1384 Hexametern zusammengeschrieben hat. Er hat dieselbe dem Orpheus in den Mund gelegt, und danach wurde dieser selbst als der Dichter des Werkes bezeichnet, woraus sich das Vorkommen dieses Namens auf dem Titel der Carstens’schen Darstellungen erklärt. Jetzt pflegt man für den Verfasser den Namen „Pseudoorpheus“ zu gebrauchen.

Weitere Quellen hat Carstens nicht benutzt, namentlich auch nicht den Apollodor (um 140), bei dem der Stoff für einen Künstlergeist beinahe mundgerecht gemacht vorliegt.

Die Argonautensage weist in religiöser Hinsicht auf die alten Vorstellungen von der Sühne und dem Sühnopfer hin, in allgemein kulturgeschichtlicher aber auf den grossartigen Aufschwung der hellenischen Seefahrerei im heroischen Zeitalter. Sie knüpft unmittelbar an die Phrixossage an, indem das glänzende Vliess des Widders, auf welchem die zum Opfer bestimmten Geschwister Phrixos und Helle flüchteten und ersterer sich nach dem fernen Lande Aia rettete, nun durch Iason, den Heilbringenden, von dort als ein Segenshort heimgeholt wird. Der besondere Anlass liegt in der Rückkehr des Iason nach Iolkos.

Nicht lange vor den homerischen Zeiten, – man meint ein Menschenalter vor dem grossen Kriege um Troja, – spielt die Sage. In den Gesängen des Homer wird bereits mehrfach, bestimmt oder nur andeutend, an dieselbe erinnert. Die Hauptstelle (Od. XII. 69 u. ff.), wo der Dichter von den todbringenden Klippen, den sogenannten Irrfelsen, spricht und von dem sichern Verderben, welches sie jedem heranfahrenden Schiffe bereiten, lautet:

„Einmal nur kam glücklich vorbei ein wandelndes Meerschiff,
Argo, die weltberühmte, die heimwärts fuhr von Aietes.
Und bald hätte auch diese die Fluth an den Klippen zerschmettert;
Doch sie geleitete Here, die Helferin war dem Iason.“

Die Argonauten-Unternehmung geht in der Sage also den grossen Kämpfen um Ilion voraus.




  1. In meiner Ausgabe. S. 148 u. ff.
Empfohlene Zitierweise:
Herman Riegel (Hrsg.): Carstens Werke. Dritter Band: Der Argonautenzug. Alphons Dürr, Leipzig 1884, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Carstens_Werke_3._Band_Argonautenzug.pdf/12&oldid=- (Version vom 14.2.2021)