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lineare Leiter. — Die Unmöglichkeit eines elementaren Potentials.

Vater eingeführte Potential besitzt bekanntlich die charakteristische Eigenschaft, dass die von solchen Ringen aufeinander ausgeübten translatorischen Wirkungen und Drehungsmomente identisch sind mit der negativen partiellen Ableitung von nach der betreffenden Richtung oder nach dem betreffenden Drehungswinkel, und dass allgemeiner die von dem einen Ringe auf den andern während irgend eines Zeitelements ausgeübte Arbeit identisch ist mit dem negativen partiellen Zuwachs von genommen nach der räumlichen Lage jenes andern Ringes. — Dass ein derselben Eigenschaften sich erfreuendes Potential auch existire für irgend zwei Stromelemente, ist den empirischen Thatsachen gegenüber ein Ding der Unmöglichkeit [1].

     Allerdings wird mit Bezug auf gewisse specielle Fälle (wenn z. B. die betrachteten Ringe starr oder wenigstens ohne Gleitstellen, und die in ihnen vorhandenen Ströme gleichförmig sind) der Annahme eines solchen elementaren Potentiales kein Hinderniss entgegenstehen. Doch wird dieses elementare Potential, eben weil seine Anwendbarkeit auf specielle Fälle beschränkt ist, niemals angesehen werden dürfen als der Ausdruck des wirklichen Elementargesetzes, sondern aufzufassen sein als der Ausdruck eines scheinbaren Elementargesetzes, welches in jenen speciellen Fällen mit dem wirklichen äquivalent ist. Das in (10.) angegebene scheinbare Elementargesetz bietet übrigens, wie vorhin gezeigt worden ist, die Eigenthümlichkeit dar, dass ihm zufolge zwischen zwei Stromelementen nicht nur gegenseitige translatorische Kräfte, sondern daneben auch noch gegenseitige Drehungsmomente vorhanden sein würden.


  1. Man findet diese Erörterungen, theilweise ein wenig weiter ausgeführt, in einem Aufsatze, den ich in den von Clebsch und mir herausgegebenen Math. Annalen (Bd. V, pag. 602) veröffentlicht habe. Zugleich findet man dort (pag. 614), in unmittelbarem Anschluss an diese Erörterungen, gewisse Bedenken ausgesprochen gegen die neuerdings von Helmholtz entwickelte Theorie (Borchardt’s Journal, Bd. 72, pag. 57 und Bd. 75, pag. 35). Ohne auf diese Bedenken hier von Neuem einzugehen, mag nur noch bemerkt sein, dass der Ausdruck (6.) genau derjenige ist, welchen Helmholtz als das Potential zweier Stromelemente aufeinander bezeichnet, dass es aber auf einem Irrthum beruht, wenn Helmholtz sagt, jener Ausdruck verwandele sich für in das von meinem Vater aufgestellte Potential. Denn in den betreffenden Abhandlungen meines Vaters ist nirgends von einem Potential zwischen Stromelementen die Rede, sondern immer nur von dem Potential zwischen geschlossenen gleichförmigen Strömen.

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Carl Gottfried Neumann: Die elektrischen Kräfte. Leipzig 1873, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Carl_Gottfried_Neumann_-_Die_elektrischen_Kr%C3%A4fte_097.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)