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über eine vollständig geübte Hand mit Freiheit verfügte. In beidem vereinigt aber, der exakten Bestimmtheit des Bildes und dem Schein freien Lebens, besteht der ganz eigenthümliche Reiz der Gemälde Belottos. Hierzu wirkt nun ganz wesentlich die besondere Art mit, wie er alle Dinge, alle Form und Gestalt in ein bestimmtes Medium von Licht und Luft setzt. Mit sicherem Gefühl wählt er durchgängig eine Beleuchtung, welche das reizvolle Spiel des architektonischen Details zu voller Wirkung und zugleich durch einfache breite Licht- und Schattenmassen das Ganze in grossen gegliederten Formen zu harmonischer Erscheinung bringt. Es ist ein scharfes Licht, oft volles Sonnenlicht mit starken Schlagschatten, in das er seine Architekturen setzt, ein Licht, wie es der Norden in heiteren Apriltagen bei kühlem Ostwind oder der geklärte Himmel nach derben Regengüssen zeigt. . . . . Allerdings erhält durch dieses kühle scharfe Licht die Farbenwirkung eine gewisse Härte, es fehlt ihr zumeist der Reiz der überleitenden Töne eines zarten, die Gegensätze mildernden Helldunkels. . . . . aber es ist erforderlich, um die köstliche Durchbildung der Detailformen in der Gesammtwirkung noch deutlich mitklingen zu lassen, die kleinsten, mit reizender Sauberkeit gezogenen Profile nicht in einem ungewissen Helldunkel oder in einem malerischen Ungefähr aufzulösen, sondern dem Ganzen als ein wesentlich mitsprechendes Glied einzufügen. Ein solches Licht aber verlangt eine ganz reine klare Luft, in der alle Umrisse fest und sicher bestehen, alle Gliederungen sich abzeichnen. Weil in einem solchen Medium die Konture nicht verschwimmen, kein Objekt in unklare oder nebelige Ferne zurücktritt, hat man dem Künstler die Luftperspektive absprechen wollen: sehr mit Unrecht, wie jedes Auge sieht, das unbefangen in seine Bilder eingeht. Es lässt sich darin mit Behagen und voller Sicherheit, seinen Weg zu finden, „spazieren gehen“; es zieht den Beschauer förmlich hinein, umherzuwandeln unter der engen Halle des Stadthauses, auf den Marktplätzen, in den fern und abseits gelegenen Gässchen; und die verschiedenen Kirchthürme erheben sich hinter- und nacheinander mit so zierlicher Bestimmtheit in die blaue Luft, dass sich ihre Entfernungen und Abstände mit mathematischer Sicherheit berechnen lassen. Und so bewegt sich auch die Staffage, auf welche sich Belotto trefflich versteht und die er mit Vorliebe in bunter Menge, ein rühriges, fröhliches Völkchen, anbringt, bald im vollen Sonnenlichte, bald in den tiefen Schlagschatten, auf Strassen und Plätzen, jeder an seiner richtigen Stelle, in der Nähe und Ferne, ohne einander umzurennen oder sich im Wege zu stehen“.

In unsrer königlichen Galerie befinden sich von Canaletto im Ganzen 37 Oelgemälde, darunter 18 Ansichten von Dresden und 11 von Pirna mit dem Sonnenstein, erstere in den Jahren 1747 bis 1766, letztere zwischen 1752 und 1755 gemalt. Sie bergen einen wahren Schatz geschichtlicher Erinnerungen aus unsrer vaterländischen Vorzeit in sich. Zumal Dresden darf sich glücklich schätzen, gerade aus den Tagen seines grössten äusseren Glanzes so prächtige, in allen Einzelheiten genaue Darstellungen seiner hervorragendsten Oertlichkeiten und Bauten, sowie seines Strassenlebens zu besitzen.

Man kann diese Gemälde als eine von Künstlerhand geschriebene Schilderung Dresdens im Zeitalter der beiden Könige August II. und III. bezeichnen. Was der leichtlebige, aber mit hohem Kunstsinn begabte August der Starke und sein Sohn theils selbstschaffend, theils anregend für die Verschönerung unsrer Stadt gethan, das taucht hier in seiner ganzen Pracht vor uns auf. Aber es fehlen auch nicht die Zeugen der unheilvollen Folgen, die zuletzt mit der mehr auf Macht und Prunk als auf das Wohl des Volks bedachten Herrschaft dieser Fürsten verknüpft waren: die Trümmer der Kreuzkirche und der Vorstädte, Bilder des Kriegselends und der Verarmung.

Canaletto ist jedoch nicht nur als Maler, sondern in bedeutendem Umfange auch als Radierer thätig gewesen. Von seinen Dresdner Ansichten hat er 15, von den Pirnaischen 6 in Kupfer geätzt. Ausserdem giebt es von ihm eine radierte Darstellung der Ruinen der Pirnaischen Vorstadt nach deren Niederbrennung in den Jahren 1758 und 1759 nach einem im Besitz des Prinzen Xaver befindlich gewesenen Oelgemälde, dessen jetziger Verbleib nicht bekannt ist, und zwei radierte Ansichten vom Königstein, zu deren einer wohl das erwähnte Bild in Wien als Original zu betrachten ist. Die Kupferplatten dieser sächsischen Ansichten gingen um die Mitte unsers Jahrhunderts aus dem Besitze des königlichen Kupferstichkabinets in den eines Berliner Kunsthändlers über, der neue Abzüge davon anfertigte; nur von den beiden die Kreuzkirche und die Frauenkirche darstellenden Hochblättern giebt es keine solchen neuen Abzüge. Eine genaue Beschreibung der Canalettoschen Radierungen mit allen Abdrucksverschiedenheiten giebt Rudolph Meyer in seiner Schrift: Die beiden Canaletto (Dresden 1878).

Mit flotter und sichrer Hand in der Art von Federzeichnungen ausgeführt, spiegeln diese vorzüglichen Radierungen, die nur in unwesentlichen Einzelheiten, namentlich der Staffage, von den Oelgemälden abweichen, die dargestellten Oertlichkeiten malerisch und wirkungsvoll wieder. Ihr geschichtlicher Werth, ihre Schönheit und die grosse Seltenheit einiger von ihnen lassen die gegenwärtige Vervielfältigung gewiss als einen Gewinn erscheinen. Unsre Sammlung giebt diese 24 Blatt Radierungen, von denen die meisten in sehr grossem Massstabe gehalten sind, auf halbe Grösse der Gegenstände verkleinert wieder. Ihre Nummernfolge entspricht einem Gange von Neustadt-Dresden über die Augustusbrücke, durch den Zwinger hinaus auf die Ostra-Allee, zum Wilsdruffer Thore herein nach dem Altmarkte, von da herüber nach dem Neumarkte, in die Pirnaische Vorstadt und endlich hinaus nach Pirna und Königstein.

Empfohlene Zitierweise:
Otto Richter (Archivar): Canaletto-Mappe. Wilhelm Baensch, K. S. Hofverlagsbuchhandlung, Dresden 1895, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Canaletto-Mappe_(Otto_Richter).pdf/5&oldid=- (Version vom 31.7.2018)