Seite:CPE Bach - Auszug eines Schreibens.pdf/1

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Auszug eines Schreibens aus – – – vom 27sten Febr. 1788.


Ueber eine Stelle in Hrn. D. Burneys Lebensumständen von Händeln, S. XLVIII. der Eschenburgischen Uebersetzung, muß ich Ihnen doch meine Gedanken sagen.

Auch bin ich des Glaubens, daß er (Händel) in seinen vollen, meisterhaften und herrlichen Orgelfugen, wozu das Thema jedesmal höchst natürlich und gefällig ist, den Frescobaldi, und selbst Johann Sebastian Bach und andere Deutsche übertroffen hat, die in dieser schweren und mühsamen Setzart am berühmtesten sind.[WS 1]

Vergleichungen großer Männer können ungemein lehrreich werden, wenn sie ein Mann unternimmt, der selbst Größe genug hat, ihre Vorzüge zu erforschen, darzustellen und zu beurtheilen. Bey einzeln Meisterstücken berühmter Künstler ist es schon ein schweres Unternehmen, ihren Werth gegen einander genau abzuwägen und richtig zu bestimmen; allein, wie sehr vermehrt sich diese Schwierigkeit, wenn man das ganze Talent zweyer vortrefflichen Künstler neben einander auf die Waage legt? Welche tiefe Kenntniß und welch feines Kunstgefühl in der Sache, worin die Männer groß waren, wird dazu erfordert? De artifice non nisi artifex judicare potest. Also große Genies erkennen keine, als ihres Gleichen für gültige Richter ihrer Verdienste, und zwar namentlich dann, wenn diese beyderseitigen Verdienste einander entgegen gestellt werden. Aber nicht Kunstkenntniß in ihrem ganzen Umfange allein, nicht feiner ächter Geschmack und zartes Gefühl jeder auch versteckten Schönheit sind hier hinreichend. Ohne die strengste Unpartheylichkeit, ohne ehrliche Entsagung aller Vorliebe, ohne festen Vorsatz, gerecht gegen jedes Verdienst zu seyn, wird der Urtheiler Gefahr laufen gänzlich zu irren. Dieser Gefahr bleibt er selbst dann noch ausgesetzt, wenn er nicht alle Akten des Prozesses, den er entscheiden soll, vor sich hat, und genau untersucht; das ist, wenn er ohne alle die vornehmsten Werke der Meister,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Das Zitat in der Vorlage ist nur eingerückt, nicht kursiv gesetzt. Es ist entnommen aus Charles Burney: An account of the Musical Performances in Westminster Abbey and the Pantheon in Commemoration of Handel, 1785, Payne & Robinson. In der Übersetzung von Johann Joachim Eschenburg: Dr. Karl Burneys Nachricht von Georg Friedrich Händels Lebensumständen, Berlin und Stettin: Fr. Nicolai 1785 heißt es Seite XLVIII: „Auch bin ich des Glaubens, daß die besten von seinen italienischen Opernarien, in Abwechselung der Schreibart und Erfindsamkeit der Begleitung, die Arien aller vorigen und gleichzeitigen Komponisten in ganz Europa übertreffen; daß er in seinen Violinsachen mehr Feuer hat, als Corelli, und mehr Rhythmus, als Geminiani; daß er in seinen vollen, meisterhaften und herrlichen Orgelfugen, wozu das Thema jedesmal höchst natürlich und gefällig ist, den Frescobaldi, und selbst Johann Sebastian Bach, und andre Deutsche übertroffen hat, die in dieser schweren und mühsamen Setzart am berühmtesten sind; und endlich, daß alle einsichtvolle und unbefangne Tonkünstler jeder Nation, wenn sie seine edeln, majestätischen, und oftmals erhabenen vollen Motetten und Chöre in den Oratorien hören oder lesen, willig und entzückt gestehen müssen, daß ihnen nichts ähnliches unter den Arbeiten der größten Meister vorgekommen ist, die seit der Erfindung des Kontrapunkts gelebt haben.“ Google
    Im Original, S. 40–41, lautet die Stelle: „It is my belief, likewise, that the best of his Italian Opera Songs surpass, in variety of style and ingenuity of accompaniment, those of all preceding and cotemporary Composers throughout Europe; that he has more fire, [41] in his compositions for violins, than Corelli, and more rhythm than Geminiani; that in his full, masterly, and excellent organ-fugues, upon the most natural and pleasing subjects, he has surpassed Frescobaldi, and even Sebastian Bach, and others of his countrymen, the moft renowned for abilities in this difficult and elaborate species of composition; and, lastly, that all the judicious and unprejudiced Musicians of every country, upon hearing or perusing his noble, majestic, and frequently sublime FULL ANTHEMS, and ORATORIO CHORUSES, must allow, with readiness and rapture, that they are utterly unacquainted with any thing equal to them, among the works of the greatest masters that have existed since the invention of counterpoint.“ Google