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die andere stütze und so beide möglich und annehmbar werden.


Schon deshalb, und weil er von vornherein dieses wichtigste Prinzip ignoriert, sehe ich den sogenannten italienischen Verismus für die musikalische Bühne als unhaltbar an.


Bei der Frage über die Zukunft der Oper ist es nötig, über diese andere Klarheit zu gewinnen: „An welchen Momenten ist die Musik auf der Bühne unerläßlich?“ Die präzise Antwort gibt diese Auskunft: „Bei Tänzen, bei Märchen, bei Liedern und – beim Eintreten des Übernatürlichen in die Handlung.“

Es ergibt sich demnach eine kommende Möglichkeit in der Idee des übernatürlichen Stoffes. Und noch eine: in der des absoluten „Spieles“, des unterhaltenden Verkleidungstreibens, der Bühne als offenkundige und angesagte Verstellung, in der Idee des Scherzes und der Unwirklichkeit als Gegensätze zum Ernste und zur Wahrhaftigkeit des Lebens. Dann ist es am rechten Platze, daß die Personen singend ihre Liebe beteuern und ihren Haß ausladen, und daß sie melodisch im Duell fallen, daß sie bei pathetischen Explosionen auf hohen Tönen Fermaten aushalten; es ist dann am rechten Platze, daß sie sich absichtlich anders gebärden als im Leben, anstatt daß sie (wie in unseren Theatern und in der Oper zumal) unabsichtlich alles verkehrt machen.

Es sollte die Oper des Übernatürlichen oder des Unnatürlichen, als der allein ihr natürlich zufallenden Region der Erscheinungen und der Empfindungen, sich bemächtigen und dergestalt eine Scheinwelt schaffen, die das Leben entweder in einen Zauberspiegel oder einen Lachspiegel reflektiert; die