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Wiederum gibt es „sichtbare“ Seelenzustände auf der Bühne, um die sich die Musik nicht zu kümmern braucht. Nehmen wir die theatralische Situation,[1] daß eine lustige nächtliche Gesellschaft sich singend entfernt und dem Auge entschwindet, indessen im Vordergrund ein schweigsamer, erbitterter Zweikampf ausgefochten wird. Hier wird die Musik die dem Auge nicht mehr erreichbare lustige Gesellschaft durch den fortzusetzenden Gesang gegenwärtig halten müssen: was die beiden vorderen treiben und dabei empfinden, ist ohne jede weitere Erläuterung erkennbar, und die Musik darf, dramatisch gesprochen, nicht sich daran beteiligen, das tragische Schweigen nicht brechen.

Für bedingt gerechtfertgt halte ich den Modus der alten Oper, welche die durch eine dramatisch-bewegte Szene gewonnene Stimmung in einem geschlossenen Stücke zusammenfaßte und ausklingen ließ (Arie). – Wort und Gesten vermittelten den dramatischen Gang der Handlung, von der Musik mehr oder weniger dürftig rezitativisch gefolgt; an dem Ruhepunkt angelangt, nahm die Musik den Hauptsitz wieder ein. Das ist weniger äußerlich, als man es jetzt glauben machen will. Wieder war es aber die versteifte Form der „Arie“ selbst, die zu der Unwahrheit des Ausdrucks und zum Verfall führte.

Immer wird das gesungene Wort auf der Bühne eine Konvention bleiben und ein Hindernis für alle wahrhaftige Wirkung: aus diesem Konflikt mit Anstand hervorzugehen, wird eine Handlung, in welcher die Personen singend agieren, von Anfang an auf das Unglaubhafte, Unwahre, Unwahrscheinliche gestellt sein müssen, auf daß eine Unmöglichkeit

  1. Aus Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“.[WS 1]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach, hier das Duell zwischen Hoffmann und Schlemihl im vierten Akt.