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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime

war, nicht daran gedacht, Kamm und Scheere mitzunehmen, darum wuchs ihm sein Haar zuletzt so lang, daß es in verwilderten Locken tief über seinen Nacken hinabwallte.

Drei Jahre lang hatte er pünktlich gethan, was ihm befohlen war, da faßte ihn ein heftiges Verlangen, einmal zuzusehen, was wohl in dem verbotenen Zimmer sein möchte. Kaum aber hatte er die Thüre aufgemacht, so schlug ihm daraus mit Qualm und Dampf die heiße, lichte Lohe entgegen, und in demselben Augenblicke erschien auch das graue Männchen, das sich sonst in den drei Jahren gar nicht wieder hatte sehen lassen. »Friedrich, du hast geguckt!« sprach es drohend; »diesmal soll es noch so hingehen; thust du es aber noch ein einziges Mal wieder, so mußt du ohne Gnade sterben!« Damit verschwand es. »Ich werde mich wohl hüthen,« dachte Friedrich; »in einem Zimmer voll Feuer und Flammen habe ich nichts zu suchen.«

So ging wieder ein Jahr dahin; er that pünktlich, was ihm befohlen war, fütterte den Schimmel mit Aas und den Esel mit Heu und tränkte sie aus dem offenen Brunnen. Aber einstmals, da er wieder Wasser schöpfte, trieb ihn doch die Neugierde so sehr, daß er hinging und den verdeckten Brunnen aufmachte und sich hinüberbeugte, zu schauen, was wohl darinnen wäre. Mit dem so fielen seine langen Locken in das Wasser hinab, und als er sie zurückzog, waren sie, so weit das Wasser gereicht, ganz golden geworden. Da schöpfte er mit den Händen noch mehr von dem Wasser und wusch sein ganzes Haar damit, das glänzte nun mit sammt den Händen wie eitel Gold. In dem nämlichen Augenblicke erschien aber auch schon das graue Männchen wieder. »Friedrich!« sprach es drohend; »du hast geguckt! Thust du das noch ein einziges Mal, so mußt du sterben ohne Gnade und Barmherzigkeit.« Damit verschwand es. Friedrich aber, dem die Sache noch jedesmal so glücklich abgelaufen war, nahm sich vor, nun auch dem Schimmel nicht mehr Aas, sondern Heu und dem Esel nicht mehr Heu, sondern Aas zu geben. Gedacht, gethan. Sobald aber der Schimmel das Heu zu fressen kriegte, fing er mit einem Male zu sprechen an. »Friedrich,« sprach der Schimmel, »es wird uns beiden schlimm ergehen, wenn wir nicht suchen zeitig von hier weg zu kommen; heut Mittag um zwölf halte dich zur Flucht bereit, aber vergiß nicht, meinen Kamm, meine Bürste und meinen Staublappen mitzunehmen, sie können uns vielleicht von größtem Nutzen sein.« Friedrich, dem es auf dem alten einsamen Schlosse auch gar nicht mehr recht gefallen wollte, that wie der Schimmel ihm geheißen hatte; er umwickelte sich aber Kopf und Hände mit Tüchern, daß von dem Golde nichts mehr zu sehen war, dann sattelte er den Schimmel und Punkt zwölf Uhr schwang er sich auf und jagte ins Weite, so schnell der Schimmel nur laufen konnte.

Nicht lange waren sie geritten, da rief der Schimmel: »Friedrich, sieh dich mal um, ob auch wer kommt!« »O weh!« sprach Friedrich, »ich sehe

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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. München: Lothar Joachim, 1910, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Busch_Ut_oler_Welt_099.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)