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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime

meinen Bruder; könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo er hingeritten ist?« Da zeigte ihm der Wirth den Weg, den sein Bruder geritten war. Er zog die Straße weiter fort und kam an das Wasser und die Brücke, und als er da hinüber ritt und eben auf der andern Seite war, floß sie hinweg. »Das ist noch einmal gut gegangen«, rief er; »es war Zeit, daß ich hinüberkam.« Als er nun immer weiterzog, fand er auch das Schloß, daraus kam ihm seines Bruders Hund entgegen gelaufen, und in dem Stalle, wo den Pferden der Hafer von selber in die Krippen fiel, stand seines Bruders Pferd. Da sah er wohl, daß hier oder nirgends sein Bruder zu finden sei, band sein Pferd in den Stall und ging in das Schloß hinein.

Es waren da auch wieder die beiden Junfern, eine weiße und eine schwarze; die weiße lag noch immer im Bette; sie lebte nicht und war nicht todt und konnte kein Wort sprechen. Die schwarze war aber schon etwas weiß geworden, weil der erste Bruder bis drei Uhr in der Nacht gewacht hatte, und als sie der andere fragte, ob sein Bruder nicht hier wäre, erzählte sie ihm, wie es dem ergangen sei, daß er eingeschlafen wäre und daß ihn die alte Zigeunerin ums Leben gebracht hätte. Da ruhte der Junge nicht eher, bis er das alte Weib fand, das sich versteckt hatte, und da mußte sie aus ihrem Schlupfwinkel heraus, und der Junge bedrohte sie und sprach: »Verdammte alte Hexe! gieb meinen Bruder heraus, oder ich haue dich in eine halbe Stiege Stücke!« Da wurde das Weib bange, lief schnell hin und machte den Bruder wieder lebendig. Als der andere sah, daß sein Bruder wieder am Leben war, schwang er sein Schwert und hackte der alten Hexe den Kopf ab.

»O weh!« sprach da die schwarze Junfer; »nun kann das Schloß nicht anders erlöst werden, als wenn ihr den sieben Nägeln, die dort hinter der Thür in der Wand sitzen, mit zwei Hieben die Köpfe abhaut.« Der zweite Bruder zog sein Schwert zuerst, und mit dem ersten Hiebe, den er that, flogen von fünf Nägeln die Köpfe ab und aus jedem Nagelkopfe floß ein Tropfen Blut. »So, Bruder; nun haue du die andern ab; du bist zwar eine gute Weile eingesalzen gewesen, aber ich denke, die beiden letzten Köpfe wirst du doch wohl herunterbringen.« Da nahm der erste Bruder, der solange im Salze gelegen, alle seine Kraft zusammen und hieb mit seinem Schwerte den beiden letzten Nägeln auch glücklich die Köpfe ab und aus jedem Nagelkopfe floß wieder ein Tropfen Blut.

In diesem selben Augenblicke hörte aber auch die Verwünschung auf. Trompeten erschallten, Bäume und Blumen wuchsen aus der Erde und wurde auf einmal ein Gewühl von Menschen, die da alle mit verwünscht gewesen waren. Da wurde auch die schwarze Prinzessin ganz weiß, und die weiße, die nicht lebendig und nicht todt war, erwachte nun aus ihrem Zauberschlafe und wurde wieder frisch und lebendig. Ihr gehörte das Schloß; und da heirathete sie den jüngsten Bruder und hielt Hochzeit mit ihm.

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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. München: Lothar Joachim, 1910, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Busch_Ut_oler_Welt_072.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)