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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime

Ferne alles mit angesehen, was sich auf dem Drachenstein zutrug, und da er sah, daß der, welcher den Drachen getödtet hatte, fort und die Prinzessin allein war, stieg er zu ihr hinauf und bedrohte sie mit heftigen Worten, daß sie schweigen oder auf der Stelle sterben müßte; und dann nahm er zum Wahrzeichen die sieben Drachenköpfe mit und ging mit der Prinzessin zu ihrem Vater dem Könige und gab sich für den aus, der den Drachen besiegt und die Prinzessin erlöst hätte. Die Prinzessin stellte aber die Bedingung, daß erst über ein Jahr die Hochzeit gefeiert werden sollte.

Der rechte Drachentödter war unterdeß weiter geritten und kam an ein fließendes Wasser, da hinüber führte eine Brücke, die war so beschaffen, daß sie wegfloß, wenn einer hinüber war. In demselben Augenblicke, da der Junge auf der andern Seite ankam, wurde die Brücke auch von dem Strome hinweggerissen. »Das ist noch einmal gut gegangen«, sprach er, »es war Zeit, daß ich hinüberkam.« Nicht lange war er geritten, so kam er an ein verwünschtes Schloß, da war kein Baum und kein Strauch und war alles still und öde. Bei dem Schlosse war aber ein großer Pferdestall mit vielen Pferden darin; denen kam der Hafer von selber in die Krippen; da brachte der Junge sein Pferd in den Stall und ging dann in das Schloß hinein.

In dem Schlosse waren zwei Junfern; die eine war weiß, die andere war schwarz; die weiße lag im Bett und war nicht lebendig und auch nicht todt und konnte kein Wort sprechen; die schwarze aber redete den Jungen an und sprach: »Du hast hier eine schwere Aufgabe zu vollbringen, wenn du uns und unser Schloß erlösen willst. Drei Nächte hintereinander mußt du wachen und darfst kein Auge zuthun; schläfst du aber ein, so ist hier noch eine alte Zigeunerin, die macht dich todt.« Darnach brachte sie ihn in ein schönes Zimmer, gab ihm gutes Essen und Trinken und ließ ihn allein. Bis drei Uhr in der Nacht hielt es der Junge aus und blieb wach, da wurde er aber auf einmal so müde, daß er fest einschlief. Da kam die alte Zigeunerin hereingeschlichen und trug ein großes Beil in der Hand, damit hackte sie den Jungen in vier Stücke, trug ihn in ein Faß und salzte ihn ein.

Um dieselbe Stunde stand der andere Bruder daheim bei dem Messer und sah, daß es auf einmal rostig wurde. »Nun ist mein Bruder in großer Noth,« sprach er; »aber ich lasse ihn nicht im Stich, es mag kommen wie es will.« Sogleich setzte er sich auf sein Pferd, nahm seinen Hund, sein Schwert und seine Pistole mit, verabschiedete sich bei Vater und Mutter und zog fort, seinen Bruder aufzusuchen.

Er kam auch in die Stadt und in dasselbe Wirthshaus, wo sein Bruder zuletzt eingekehrt war, und als ihn der Wirth kommen sah, meinte er, es wäre der andere und sprach: »Ihr kommt ja früh zurück; ich meinte, Ihr wolltet erst über ein Jahr wieder hier sein, und jetzt ist doch kaum ein halbes verflossen.« »Ach, Herr Wirth«, sagte der Junge; »Ihr haltet mich gewiß für

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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. München: Lothar Joachim, 1910, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Busch_Ut_oler_Welt_071.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)