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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime

hätte, daß es alles so kommen würde. Sprach darauf der König: »Wenn Eure Tochter wirklich so klug ist, wie Ihr sagt, so möchte ich sie wohl sehen und auf die Probe stellen.« Und sogleich sandte er seine Diener aus und ließ sie rufen.

Als Isabelle nun vor den König kam, redete er sie an und sprach: »Ich habe viel von deiner Klugheit reden hören, darum will ich dir jetzt eine Aufgabe stellen, du sollst zu mir auf mein Schloß kommen; nicht nackt und nicht bekleidet, nicht gegangen und nicht geritten, nicht zu Pferde und nicht zu Wagen, nicht bei Tage und nicht bei Nacht; wenn du das kannst, so will ich dich zur Frau nehmen und sollst die Königin sein.« Da hat das Mädchen gesagt: ja, das wollte sie wohl können und ist fortgegangen.

Den nächsten Mittwoch nahm sie ein Fischnetz, da kroch sie splitternackt hinein, band es einem Esel an den Sattel, doch so, daß sie eben mit den großen Zehen den Boden streifte und ließ sich hintragen zu des Königs Schlosse; so kam sie denn an: nicht nackt und nicht bekleidet, nicht gegangen und nicht geritten, nicht zu Pferde und nicht zu Wagen, nicht bei Tage und nicht bei Nacht, denn es war an einem Mittwoch[1] morgen. Als das der König sah, verwunderte er sich zum höchsten über ihre Klugheit und sprach: »Ich will dich nun zu meiner Frau annehmen; nur eins muß ich mir zuvor noch ausbedingen, daß du mit allem zufrieden bist, was ich thue, es mag sein, was es will; solltest du aber jemals dawider sein, so werde ich dich aus meinem Hause verstoßen.« Das mußte sie dem Könige versprechen; der nahm sie dann zur Frau.

Eine Zeit darnach kriegte die Königin ein kleines Kind, das war ein Mädchen. Da sprach der König: »Ich will das Kind von der Welt schaffen lassen; wir haben doch nur Last davon.« Da bebte der Königin das Herz in der Brust vor Schrecken, aber doch blieb sie ihrem Versprechen getreu und antwortete: »Wenn Ihr es wollt, Herr, so bin ich zufrieden.« So ließ denn der König das Kind von seinen Dienern hinwegtragen.

Es verging eine Zeit, da kriegte die Königin ein zweites Kind, das war ein Knabe; und wieder sprach der König: »Ich will das Kind von der Welt schaffen wir haben doch nur Last davon.« »Wenn es Euer Wille ist, Herr, so bin ich zufrieden«, sagte Isabelle, ob es ihr gleich an die Seele ging, daß sie sich von ihrem lieben, unschuldigen Kinde scheiden sollte. So ließ es denn der König durch seine Diener hinwegtragen. Die Zeit verging, aber die Königin kriegte nun keine Kinder mehr; sie verschloß ihre Traurigkeit in der Brust, ohne jemals gegen den König zu murren.

Nun trug es sich einstmals zu, daß ein Bauer mit Mähre über Feld zog, und als er zu eines andern Bauern Hofe kam, wo er Geschäfte


  1. Plattdeutsches Sprichwort: middewiäken is näin dag.
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Wilhelm Busch: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. München: Lothar Joachim, 1910, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Busch_Ut_oler_Welt_021.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)