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er sein Haupt hinlegte. Sein unweises Absprechen, über das Formelle in der Religion, erbitterte die Theologen; seine gutmüthige Herzlichkeit wurde von den Philosophen als Schwäche, und sein Glaube als Gläubelei verspottet. Von dem Parlamente in Paris sowohl, als vom Magistrate seiner Vaterstadt, wurden seine Schriften verbrannt, und er selbst wurde aus Stadt und Land verwiesen, als ein staatenumwälzender gefährlicher Mensch. Die einzige treue Seele, welche ihn, bei aller ihrer Einfachheit, liebend und ahnend verstand, die sich in seine Launen zu schicken wußte, war seine Haushälterinn, Therese le Vasseur, welche er dann auch, nach drei- und zwanzigjähriger Vertrautheit, um ihre Treue zu belohnen, im Jahre 1768 heirathete. Seine fünf Kinder aber hatte er, auf das unverantwortlichste, in’s Findelhaus abgegeben; selbst ohne ihren Geburtstag, oder sonst ein Merkmal zu ihrer Wiedererkennung, aufgeschrieben oder sonst aufbewahrt zu haben. [1] Aus kummervoller Reue darüber schrieb er seinen

  1. Es ist noch jetzt in Frankreich eine übliche böse Gewohnheit der unnatürlichen Mütter, die neugebornen Säuglinge, aus Vornehmthuerei und Genießlust, sogleich aus dem Hause auf das Land, einer Bäuerinn als Amme, zu übergeben. Unlängst begab es sich, daß eine solche zärtliche Mutter in Paris ihren Gemahl, nach Verlauf eines Jahres, bat: Doch einmal auf’s Land zu reisen, und zu zu sehen, was ihr liebes Kind dort mache. Der gehorsame Mann that, was seine liebe Frau wollte, er reiste zur säugenden Vice-Mutter, und was fand der arme Vater dort? Die Amme hatte zwei Wiegen und zwei Kinder; denn von dem Gelde für ein einziges Kind, behauptete sie, habe sie nicht leben können. Aber welches ist denn von diesen beiden [183] Kindern mein Kind, fragte der erschrockene Mann? „Das weiß ich nicht, antwortete die Bäuerinn; das habe ich nicht behalten können, weil sie beide gleich alt sind, und in Allem mit einander so viel Aehnlichkeit haben. Suchen Sie Sich nur eins von beiden aus, welches Sie wollen.“ In Verzweiflung eilte der trostlose Vater zu den Aeltern des andern Kindes, welche eben so wenig als er ihr Kind kannten. Die Unglücksgefährten mußten nun auf’s Gerathewohl wählen, und sich in den beiden Kindern theilen. Das Einzige, was ihnen noch zu thun übrig blieb, war, daß sie sich einander versprachen, die Kinder einst wieder umzutauschen, wenn sich ja etwa späterhin die Gestalt und Charactere derselben in sprechendern Merkmalen entwickeln sollten. Die buchstäbliche Wahrheit dieses furchtbaren Beispiels von unverantwortlichem Leichtsinn verbürgt ein edler Freund des Verfassers dieser Note, Herr Capitain von W. aus R., welcher unlängst aus Paris zurückkehrte.
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Nikolai Abramowitsch Putjatin: Worte aus dem Buche der Bücher. Dresden 1824, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Buch_der_B%C3%BCcher_(Putjatin)_182.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)