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2. Voltaire.

Voltaire, von Einigen vergöttert, von Andern anathematisirt, starb 1778 zu Paris, 85 Jahre alt. Sein eigentlicher Name war François Marie Arouet. In der Physiognomie dieses Mannes lag, wie man bemerkt, etwas vom Adler und der Meerkatze, und in der That vereinigte er auch mit dem kühnen Aufstreben des erstern etwas von der Bösartigkeit der letztern. Nie aber hat ein sogenannter Homme de lettres es besser bewiesen, daß dem Geiste die Herrschaft der Welt gebühre, als Voltaire, insbesondere zu einer Zeit, wo Gelehrte und Künstler noch von den Großen, wie die Graeculi bei den Römern, als eine Art von guten Hausdienern, behandelt wurden. Friedrich der Große küßte ihm, in einer Stunde der Begeisterung, die Hand; und späterhin erhielt der Dichter die Büste dieses glorreichen Monarchen mit der Unterschrift: Viro immortali (d. i. dem Manne der Unsterblichkeit), worauf er antwortete: „Sire, Sie haben mir ein Gut in Ihrem Gebiete angewiesen.“ Als reale Güter genoß er ein jährliches Einkommen von mehr als 30,000 Rthlr., theils durch seine Schriften, als Ehrensold; theils durch einen Gewinn in der Lotterie, so wie durch seine glücklichen kaufmännischen Speculationen. Der ihm eigenthümliche Stachelwitz aber, so wie das in ihm liegende Streben nach Opposition, waren die Ursachen, daß er wohl überall viel Bewunderer fand, nirgend indeß einen wahren Freund. Einst, als ihm der Odendichter Jean Baptiste Rousseau seinen Hochgesang an die Nachwelt vorlas, sagte er spöttelnd: „Das ist ein Brief, welcher schwerlich an seine Adresse gelangt;“ und dieser Witz entzweite ihn auf immer mit dem

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Nikolai Abramowitsch Putjatin: Worte aus dem Buche der Bücher. Dresden 1824, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Buch_der_B%C3%BCcher_(Putjatin)_179.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)