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werden! – Das Meisterwerk Montesquieu’s ist sein Esprit des Loix.[1] Um die Hauptnationen Europa’s in diesem Werke richtig zu schildern, legte Montesquieu alle seine Aemter nieder, und begab sich auf Reisen, nach Deutschland, Ungarn, Italien, der Schweiz, den vereinigten Niederlanden, und nach England. Der überall mit Auszeichnung aufgenommene Verfasser der Lettres Persannes fand, sagt d’Alembert in seiner Denkschrift auf Montesquieu: „Que l’Allemagne étoit faite pour y voyager, l’Italie pour y séjourner, l’Angleterre pour y penser, et la France pour y vivre.“ (D.i. Deutschland ist dazu gemacht, um daselbst zu reisen; Italien, um längere Zeit da zu verweilen; England, um dort zu denken; und Frankreich, um immer da zu leben.) Montesquieu’s edle Handlung zu Marseille, indem er insgeheim eine Summe anwies, um den unglücklichen Vater eines jungen Schiffers aus der Sklaverei der Raubstaaten loszukaufen, hat das Schauspiel: Le Bienfait anonyme, veranlaßt. Die größten Männer Frankreichs drängten sich zu dieses geistvollen Mannes lehrreichen Umgange; [2] er aber

  1. Sehr interessant und lehrreich ist es, einige ältere Gesetzgebungen, so wie den Code Napoléon, (deutsch und französisch von Erhard, Leipzig 1808), jetzt Code civil français genannt; das preußische Landrecht, nach v. Feuerbach’s Ansicht; so wie die neuen Arbeiten der Gesetz-Commission in St. Petersburg, mit den Grundsätzen Montesquieu’s, und seinem Einflusse auf die neu-europäische Denkweise, zu vergleichen.
  2. Vor einigen Jahren lebte ein geistvoller, vornehmer und reicher Mann in einer deutschen Hauptstadt, welcher für einen armen, aber sehr ausgezeichneten Gelehrten täglich [178] ein Gedeck an seiner Tafel, nebst einem Ducaten unter dem Teller, für den Zeitaufwand seines Gastes, und die mündliche Belehrung von demselben, bereit hielt. Der Gelehrte, ein Familienvater, war oft äußerst bedürftig; und dennoch machte er von jener Munifizenz keineswegs einen täglichen Gebrauch. Wen soll man nun mehr loben, den bescheidenen Gelehrten, oder jenen geistvollen und edelgesinnten Großen? Beide leben noch, und dürfen hier, aus besondern Rücksichten, nicht genannt werden. Aber Beispiele der Art verdienen es wohl, daß man sie der Welt mittheile.
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Nikolai Abramowitsch Putjatin: Worte aus dem Buche der Bücher. Dresden 1824, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Buch_der_B%C3%BCcher_(Putjatin)_177.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)