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belehrenden Ueberblick über die Fortschritte des Culturlebens in chronologischer Aufeinanderfolge gewährten. Gleichsam als Einleitung dazu hatte man eine unscheinbare Sammlung alter fossiler Knochen an die Spitze der daselbst befindlichen Denkmäler gestellt, eine Sammlung, die für unseren Zweck eine ganz besondere Bedeutung beansprucht.

Gefunden in tiefen Erdschichten, auf dem Boden der menschlichen Urheimath, liefern, nach näherer Betrachtung und Untersuchung, diese versteinerten Ueberreste thierischer Körper zunächst den Beweis, daß wir uns im Geiste zurückzuversetzen haben in jene zeitlich unberechenbare Periode, welche die Wissenschaft heutzutage mit dem Namen der „Steinzeit“ belegt hat. Da wo gegenwärtig blühende Culturländer, wohlgeordnete Staaten, ein nach Gesittung und Veredelung strebendes Menschengeschlecht in stetem, aber erfolgreichem Kampfe des Geistes mit der Materie den Boden der Erde bedecken, war das Bild der ewig ringenden Menschheit in unvordenklichen Zeiten ein gar anderes. In undurchdringlichen Wäldern, in Sümpfen und Seen tummelten sich in wildem Kampfe mit einander die Thiere der Vorwelt umher, und der schwache Mensch, in Höhlen oder auf Pfahlbauten im Wasser Schutz und Zuflucht suchend, wurde von seinen gefährlichen Nachbarn der ungeschlachten Thierwelt mehr verfolgt und gejagt, als er selber Jäger war. Wenn einzelne vor uralten Grabhöhlen gefundene Thierknochen der ersten Vermuthung Raum geben, daß der lebende Mensch jener geheimnißvollen Urwelt dem verstorbenen Bruder thierische Opfer, vielleicht verbunden mit einem Todtenmahle, dargebracht habe, so wird diese Vermuthung durch den eigenthümlichen Umstand fast zur Gewißheit erhoben, daß auf einzelnen dieser Knochen deutlich erkennbare Bilder mit scharfem, zugespitztem Steine eingegraben sind. Hier ist ein Rennthier-ähnlicher

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Heinrich Brugsch: Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift. C. G. Lüderitz’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1868, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brugsch_Bildung_Entwicklung_Schrift_1868.pdf/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)