Seite:Brugsch Bildung Entwicklung Schrift 1868.pdf/25

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
23


Geschichte. Es ist vielmehr unsere Absicht, auf die Quelle ihrer Entstehung zu verweisen, die bereits fernen Zeiten angehört, welche dem Gedächtniß der Menschen für immer entschwunden zu sein schienen. Jene altersgrauen Inschriften, an welchen Jahrtausende lang Heereszüge und Karawanen vorüber gezogen sind, haben gegenwärtig aufgehört, unverstandene Räthsel zu sein. Das Licht der modernen Forschung hat auch sie erleuchtet, und was sie an Helle empfangen, strahlen sie mit tausendfachem Glanze zurück. Sie lehren uns, daß jenseits unserer Geschichte, unserer Civilisation eine ältere Vorschule der Menschheit auf dem Boden einer thatenreichen Geschichte und einer hohen, sittlich begründeten Civilisation um den Lorbeer geistigen Ruhmes rang. Sie beweisen uns, daß unsere sogenannte alte Geschichte nur der Anfangspunkt der modernen Geschichte der Menschheit ist, und sie sagen uns endlich, daß wenn auch Zeit und Raum die nothwendigen Bedingungen der geschichtlichen Gestalt sind, welche wandelt und sich ändert unter dem Einflusse der welthistorischen Ereignisse, so doch des Menschen Geist seine vorgezeichnete Bahn nach den ewig unwandelbaren Gesetzen der Läuterung und Entwicklung zurücklegt.

Als die Phönizier den Ioniern die Schrift reichten, da war eine weltgeschichtliche Thatsache erfüllt. Das Morgenland reichte dem Abendlande sein Vermächtniß, denn der Osten trat dem Westen seine Rolle ab; eine Culturperiode war auf dem Boden uralter Heimath des Menschengeschlechtes vorübergezogen, und das Morgenroth eines anderen Tages der menschlichen Entwicklung stieg empor an dem Horizonte der Geschichte. Eine neue Zeit baute sich aus den Trümmern der alten auf, wie der junge Phönix sich erhebt aus der Asche des alten. Und das Vermächtniß jener geheimnißvollen Zeichen war die Kette, welche das Neue mit dem Alten auf ewig binden sollte.

(565)
Empfohlene Zitierweise:
Heinrich Brugsch: Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift. C. G. Lüderitz’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1868, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brugsch_Bildung_Entwicklung_Schrift_1868.pdf/25&oldid=- (Version vom 31.7.2018)