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Griechen und Lateiner verwandten es zur Bezeichnung des s und so nahmen wir es gleichfalls in Gebrauch.

Der Ursprung unseres o, seiner äußeren Gestalt nach, ist in dem o ähnlichen Zeichen des phönizischen Alphabets zu suchen, das jenen eigenthümlichen Halbvocal der semitischen Zunge ausdrückt, welcher den Namen Ain führt und für einen Europäer, wenigstens für die meisten, so gut wie unaussprechbar ist. Im altägyptischen Alphabet steht diesem Zeichen eine Gruppe (Nr. 16 der Tabelle) gegenüber, welche den Werth eines Sylbenzeichens mit dem Anlaut jenes Ain hat.

Ein Fensterähnliches Viereck in der altägyptischen Zeichenwelt drückte den Laut p aus. Die Ableitungen, bis zu unserem P hin, sind mehr als blos zufällige Stufen von Aehnlichkeiten. Die langgeschwänzte Schlange, ein Mittellaut zwischen t und z ist unserem Alphabet entwischt und hat sich nur noch im älteren griechischen Alphabet erhalten. Dafür ist das folgende Dreieck williger gefolgt, bis zu unserem Q hin. Nicht weniger war dies der Fall mit dem Bilde des Mundes, bei den alten Aegyptern das sichtbare Sinnbild des r-Lautes, das trotz seiner cursiven, für die Wanderschaft wenig geeigneten Gestalt, in allen Colonnen die Urform treu bewahrt hat.

Ueber die mit Bäumen bewachsene Aue haben wir bereits oben das zum Verständniß Nothwendige bemerkt. Wir können somit den alphabetischen Bilderreigen mit dem letzten Zeichen beschließen, das einem langgezogenen Tropfen nicht unähnlich sieht. Es ist dies der Stellvertreter des t-Lautes, aus dem sich zuletzt die Gestalt unseres T entwickelt hat.

Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die vielverzweigten Wanderungen oder Spuren zu verfolgen, welche im Laufe der Geschichte und der Civilisation die kleine Gesellschaft jener merkwürdigen Zeichen genommen hat. Die Geschichte ist ihre eigene

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Heinrich Brugsch: Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift. C. G. Lüderitz’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1868, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brugsch_Bildung_Entwicklung_Schrift_1868.pdf/24&oldid=- (Version vom 31.7.2018)