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im Stande, ein gegebenes Wort, z. B. einen Eigennamen, einer fremden Sprache dem Laute nach wiederzugeben.

Und doch fand der menschliche Scharfsinn einen Ausweg oder vielmehr einen Umweg, um an das Ziel so nah wie möglich zu gelangen, und dieser Umweg war es, welcher der erste Wegweiser zur Lautschrift ward.

Bleiben wir auf kurze Zeit in der Gesellschaft der mexikanischen Azteken.

Als die frommen Franziskaner zu den Eingeborenen von Anahuac kamen, um sie in den ersten Grundlagen der christlichen Religion zu unterrichten, wurde den Schreibkundigen aufgegeben das lateinische Vaterunser, das Pater Noster, nicht nur zu übersetzen, sondern auch mit den Lauten desselben in der lateinischen Sprache niederzuschreiben.

Eine schwere Aufgabe in einer Schrift, welche nur aus bildlichen Zeichen besteht und für die eigene Sprache berechnet ist. Und doch lösten die mexikanischen Hierogrammaten diese schwierige Forderung und zwar in einer Weise, deren wir uns heute noch unter der Bezeichnung der Rebus-Schrift zu bedienen pflegen.

Sie nahmen Abstand von der Bedeutung ihrer Bilderzeichen, nahmen allein Rücksicht auf den Laut des ausgesprochenen Wortes, und wählten zur Rebus-Componirung die den Sylben des lateinischen Pater Noster am ähnlichsten klingenden Wort-Zeichen.

So malten sie ein Fähnchen, welches die Aussprache pan hatte, einen Stein = tete, eine Cactusfeige = nosch, und wiederum einen Stein = tete u. s. w. Sie ließen somit die eigentliche, durch die Bilder in der Schrift und durch das Wort in der Sprache gegebene Bedeutung jener Zeichen fallen, und hatten ein Mittel gefunden, wenigstens annähernd durch pantete

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Heinrich Brugsch: Ueber Bildung und Entwicklung der Schrift. C. G. Lüderitz’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1868, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Brugsch_Bildung_Entwicklung_Schrift_1868.pdf/13&oldid=- (Version vom 31.7.2018)