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ganzen hier vorliegenden Bilde wirklich erklärt, wenn allenfalls die Idee der Entrückung des Kindes erklärt ist! Auch J. Weiß (138f.) vermag zur Erklärung des Bildes aus jüdischen Prämissen nichts mehr beizutragen: „Jedenfalls will er (der Apok.) mit seiner Darstellung sagen: Der im Himmel etwa vorhandene Messias kann noch nicht auf Erden erscheinen, denn gegenwärtig führt hier noch eine andre Macht das Regiment, der Antichrist. Er hindert die messianische Vollendung, er verfolgt das Weib, d. h. er hindert die Offenbarung des himmlischen Jerusalem. Weil er aber dem Messias und dem Weibe nichts anhaben kann ... so wendet er seinen Grimm gegen die „Übrigen“ vom Samen des Weibes, d. h. (?) gegen die Juden.“ — J. Weiß gibt dann selbst zu: „Zu diesen praktischen Gedanken steht nun der aufgebotene Bilderapparat in keinem rechten Verhältnis.“ — Allen diesen Versuchen gegenüber muß ich bei der Behauptung bleiben: Die Idee eines Messias, der gleich nach seiner Geburt vom Drachen verfolgt und mühsam gerettet wird, ist spezifisch unjüdisch. Viel schwerer noch als die Beziehung des Kindes auf Jesus ist die Erklärung von Apk 12 aus jüdischen Prämissen.

4. Wir werden also die Fragestellung, jüdisch oder christlich, hinsichtlich unseres Kapitels überschreiten und die Frage nach Traditionen verwandter Art auf dem Gebiet der benachbarten Religionen erheben. Wenn weder die Annahme jüdischer noch diejenige christlicher Herkunft des Kapitels uns dessen Verständnis in den wesentlichsten Punkten erschließen, so kann nur noch dieser Weg zum Ziel führen, wenn sich dieses überhaupt erreichen lassen wird.

Wir erheben aber zunächst die Frage, ob nicht in der Komposition des Kapitels selbst sich Risse und sprunghafte Stellen zeigen, deren Beobachtung bei der Frage nach den ursprünglichen Elementen der vorliegenden apokalyptischen Tradition von Wert sein könnte. Und mindestens eine solche schadhafte Stelle zeigt sich allerdings, auf die fast alle Kritiker bereits aufmerksam gemacht haben. Es handelt sich um das merkwürdige Verhältnis von V. 6 zu V. 13-17. Nachdem in V. 6 bereits von der Flucht des Weibes die Rede gewesen, wird diese V. 13-17 noch einmal wieder aufgenommen und viel ausführlicher berichtet. Dieser Tatbestand hat zu den verschiedensten Kombinationen Anlaß gegeben. Weizsäcker² 490, Völter³ 146f. wollten deshalb die ganze zweite Hälfte des Kapitels (13ff. resp. 11ff.) dem Verfasser der ersten Hälfte absprechen. Sp. hält den V. 6 für eine Zutat des Redaktors, durch welche kurz auf das Folgende hingewiesen werden soll. Gunkel (a. a. O.) sieht in V. 6 und V. 7-16 Parallelberichte. Ein erster Bearbeiter des vorliegenden Gemäldes habe mit V. 6 das Ganze, die ursprüngliche Relation stark verkürzend, abgebrochen, ein zweiter habe dann neben den abgekürzten Bericht den ursprünglichen unverkürzten Bericht gestellt. Dabei bleibt dann freilich die Frage unbeantwortet, weshalb der zweite Bearbeiter den kurzen Passus V. 6 nicht einfach wieder beseitigt habe. Etwas anders sieht Wellhausen (215f.) in V. 1-6 und V. 7-14 zwei Parallelberichte, von denen der in V. 7-14 der klarere Bericht sein soll. Nach diesem finde zunächst ein Kampf des Drachen im Himmel statt und

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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1906, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S349.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)