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16. Die einseitige und beschränkte zeitgeschichtliche Auslegung.

Auf den Bahnen von Grotius, Hammond, Bossuet ist von den Auslegern dieses Zeitraums zunächst nur einer weiter gegangen: Noel Aubert de Versé (clef de l’apocalypse, Paris 1703). Mit Joh. Annius, Caponsacchius, Hentenius, Salmeron, (Grotius, Hammond), Jurieu läßt er die Apk unter Nero abgefaßt sein. Er bleibt wie sein Vorgänger (namentlich Bossuet) mit seinen Deutungen innerhalb der Grenzen des römischen Reiches, bezieht die ersten sechs Siegel auf die Geschichte bis Constantin, die Posaunen bis Diocletian. Apk 13 bezieht er wieder auf das römische Reich, nachdem er in Apk 12 die Geschichte der ersten Christenheit gefunden hat. Das verwundete Haupt des Tieres deutet er auf Caligula. Vor allem aber ist seine Auslegung von Apk 13B interessant. Das zweite Tier ist ihm das heidnische Priestertum, und die einzelnen Züge deutet er in einer glänzenden geschichtlichen Ausführung auf dieses. 17,10 bezieht er auf die Zeit von Julius Cäsar bis Claudius, das sechste Haupt sei Nero, das siebente Galba, das achte sämtliche noch folgende heidnische Kaiser. Im folgenden dehnt er die Deutung bis Attila aus. Das tausendjährige Reich versteht er in gewöhnlicher, nicht-chiliastischer Weise. Daneben kennt er schließlich als zweiten Sinn der Apk auch die endgeschichtliche Deutung.

Während Bossuet und Aubert de Versé die Weissagungen der Apk nur auf die Geschichte des römischen Imperiums bezogen, so nahm später die zeitgeschichtliche Deutung in Anschluß an Grotius und Hammond die verhängnisvolle Wendung, daß man in schroffem Gegensatz zu aller kirchengeschichtlichen und weltgeschichtlichen Deutung die ganze Apk analog der Herrenrede, Mt 24, als eine Weissagung auf die Zerstörung Jerusalems auffaßte.

Es ist ungewiß, wer der Vorgänger in dieser Methode der Auslegung der Apk gewesen ist. Abauzits Werk[1] — dieses wird gewöhnlich als erstes angegeben — erschien nach 1732, es setzt Newtons 1732 erschienenes Werk voraus. Des Jesuiten Harduin commentarius in nov. Test. erschien 1741 (Hagae).

Nach Abauzit ist die Apk unter Nero geschrieben: „l’apcalypse écrite sous Néron est proprement une extension de la prophétie du Sauveur sur la ruine de l’État judaique“ (311). Dieser Gesichtspunkt ist bei A. rücksichtslos durchgeführt. Das Tier ist ihm demgemäß der jüdische Sanhedrin, die sieben Häupter die letzten Hohenpriester, der achte Ananus, durch dessen Tod das Tier die tötliche Wunde erhält; die sieben Berge werden auf sieben Hügel Jerusalems bezogen, die zehn Hörner sind die zehn Toparchen,


  1. Das Werk, das hier in Betracht kommt, ist nicht der die Echtheitsfrage behandelnde discours hist. sur l’apocalypse, sondern der essay sur l’apoc., oeuvres de feu M. Abauzit I. Genev. 1770.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S102.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)