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9. Luther und seine Nachfolger[1]

Luther hat in der Vorrede zur Ausgabe des NT von 1534 sein schroffes Urteils in der Vorrede 1522 (bei Walch, Luthers Schriften XIV 12f.) stillschweigend unterdrückt und dem Buch sogar, weil es sonst doch nicht brauchbar sei, eine kurze Auslegung seines geheimnisvollen Inhalts vorausgeschickt[2]. Er folgte in der Methode durchaus dem Lyra. Die sieben Gemeindeschreiben werden freilich mit gesundem Takt nicht kirchengeschichtlich gedeutet und in den sieben Siegeln findet L. ganz allgemein große Plagen, welche die gesamte Kirche betreffen. Dann aber werden (im engen Anschluß an Lyra) die sieben Posaunen auf Ketzer bezogen, in der sechsten treten die Sarazenen auf[3]. Der Engel Apk 10 ist für L. das Papsttum. Die beiden Tiere Kap. 13 sind das Papsttum und das Kaisertum, mit einander im Bunde[4]. Das Papsttum heilt die Todeswunde des Tieres und richtet das Bild desselben auf, d. h. es begründet an Stelle des verfallenen altrömischen Reiches das heilige römische Reich deutscher Nation, eine grandiose Deutung. Mit Apk 14 beginnt die Predigt des Evangeliums. Gog und Magog sind die Türken, die nach tausend Jahren (von der Zeit des Johannes an gerechnet) auftreten. Auf genauere Zahlen kommt es L. nicht an.

Mit diesen wenigen Quartseiten apokalyptischer Auslegung von eigentümlich bizarrer Grandiosität hat Luther mächtig auf die Folgezeit gewirkt.

Genau an Luthers Skizze schließt sich an: Die Anleitung zum Verstand im Buch, das man nennt Apocalypsis, dadurch der Leser von Ordnung der Zeit und vielerlei Historie, so bald nach der Apostel Tod gefolget sind, erinnert wird. J(ohannes) F(unke) mit einer Vorrede Philipp Melanchthons 1559. Daneben finden sich mancherlei Extravaganzen und Besonderheiten. Der Engel mit dem ewigen Evangelium, ebenso die beiden Zeugen werden bereits auf Luther bezogen. Nach Irenäus wird die Zahl 666 auf Λατεῖνος gedeutet, und daneben die Lösung רומיית eingeführt. Dem Kaiser Karl V., dem „siebenten“ Herrscher, wird baldiger Untergang geweissagt. Ferner finden wir hier eine Deutung, die nachher die Exegese beherrscht. Die 1260 Tage, Apk 11,3, werden auf 1260 Jahre gedeutet, und zwar wird von 1517 (resp. 1521) rückwärts auf 257 (resp. 261) geschlossen: die Anfänge des Archihäretikers Paulus von Samosata. In der Deutung der Tiere schließt sich der Kommentar ganz an Luther an. Die fünf Könige 17,10 werden auf deutsche im Kampf mit dem Papst gefallene Kaiser bezogen.

Ebenso lehnt sich an Luther Andreas Osiander (Sacrorum Bibliorum Pars III)[5] an. Dieser Theologe hat in seinem um 1580 erschienenen Bibelwerk die verschiedensten Kommentare benutzt: Irenäus, Beda, Lyra, Haymo, Bullinger, Lambertus


  1. Vgl. zum folgenden Lücke 1012ff.; namentlich J. G. Walch Bibl. theol. selecta, Tom. IV 760ff.; Stosch, Catalogus rariorum in Apc. Joannis commentariorum; Symb. litt. Bremenses I 560ff. (II 560ff.) und Iken, Schediasma ad Stoschii Catalogum. ib. I 572ff.
  2. Vorrede zur Offenbarung Johannis 1534 bei Walch B XIV 151-163. Ferner die Glossen Luthers bei Walch B IX 2815.
  3. Bedeutsam ist die Deutung der Heuschrecken auf die Arianer.
  4. In den Glossen (Walch IX 2816) hat Luther die Deutung רומיית für die Zahl 666. Er deutet dies dadurch an, daß er die Zahlen 200, 6, 40, 10, 10, 400, unter einander schreibt und addiert.
  5. Von mir benutzt nach einer Ausgabe von 1619 Frankf. a. M. In der Vorrede zum alten Testament steht die Jahreszahl 1578 (vgl. Walch 75).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 084. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S084.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)