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ungeheuren Einfluß für die Folgezeit verschafft hat. Mit dem letzten Rest historisch-realistischer Deutung ist hier aufgeräumt. Ausdrücklich polemisiert Tic. gegen die Deutung der beiden Zeugen auf bestimmte Persönlichkeiten. Die beiden Zeugen sind die Kirche, die durch die beiden Testamente predigt. Die dreieinhalb Jahre sind die 350 Jahre, in welchen sie bereits Zeugnis ablegt, die Auferstehung der Zeugen die allgemeine Totenauferstehung. Das Tier ist das Symbol für die weltliche Macht, die sieben Häupter bedeuten alle Könige der Welt, die zehn Hörner alle Königreiche, das achte Haupt, das doch zu den sieben gehört, oder das zum Tode verwundete Haupt, ist das falsche, verweltlichte Priestertum, das zur Welt gehört, obwohl es nicht zu ihr zu gehören scheint, und das anstatt des gekreuzigten Christus seine eigne Ehre oder gar den Satan verkündigt (Apk 13,14). Die Zahl Apk 13,18 — T. liest 616 — deutet er in irgend einer nur dunkel überlieferten Weise als Monogramm des Antichrist. (Vermutungen darüber von Burkitt, Cambridge University Reporter 1896 p. 625, s. Zahn Einl. II 628.) Dieser selbst ist ihm an vielen Stellen jedenfalls keine Einzelpersönlichkeit mehr, sondern vielmehr die schon in der Gegenwart vorhandene Zusammenfassung der gesamten gottfeindlichen Macht. Auf der andern Seite redet auch Tic. von einer bestimmten Person, die vom Teufel als rex novissimus an die Spitze der in der letzten Zeit mit der wahren Kirche kämpfenden civitas diaboli gestellt wird. Ob er freilich diesem rex novissimus den Titel des Antichrist gegeben hat, steht dahin[1]. Besonders hat Tic. in einer Beziehung den größten Einfluß auf die Folgezeit errungen und zwar nicht bloß auf dem Gebiet der Exegese. Seine Auslegung ist von geradezu geschichtlicher Wichtigkeit geworden, insofern durch sie endgültig mit allen chiliastischen Neigungen und aller realistischen Eschatologie in der lateinischen Kirche gebrochen wurde. In klarer und bestimmter Weise wird bei Tic. zuerst die Idee vom tausendjährigen Reich, vom Binden des Satans durch den Engel (Apk. 20,1ff., nach Tic. die Besiegung des Starken Mt 12,29 durch die erste Erscheinung Christi), die tausendjährige Herrschaft der Heiligen (die Zeit der Kirche von der ersten Ankunft des Herrn bis zu seiner Wiederkunft) umgedeutet[2].

Eingeteilt war das Werk des Ticonius nach Beda[3] in drei Bücher.


  1. Ich modifiziere meine in der ersten Auflage mit Reserve gegebenen Aufstellungen nach Hahn 95ff. Überzeugt hat mich, was H. für diese Frage aus der regula fidei S. 96 vorbringt. Danach kennt Tic. einen vom Satan gesandten novissimus rex. In den Fragmenten des Spicilegium Casinense ist weder von einem persönlichen Antichrist noch von einem novissimus rex die Rede. Mit Rücksicht hierauf spricht sich doch schließlich auch Hahn über die Frage, ob T. den rex novissimus mit dem Antichrist gleichgesetzt und ob B. nicht die Stellen, die vom persönlichen Antichrist handeln, stark retouchiert habe, skeptisch und zurückhaltend aus (S. 98).
  2. Daß diese Auslegung in der lateinischen Kirche neu war, beweist die künstliche Auslegung von Kap. 20, die Hieronymus noch in der Bearbeitung des Victorinkommentars gibt. Denn H. hatte sich seiner Aussage im Prologus gemäß unter den Auslegern der Apk umgesehen. Augustin, ursprünglich Chiliast, ist in der Auslegung von Apk 20 bei Tic. in die Schule gegangen.
  3. Beda hat den Tic. im Auge, wenn er im Prologus seines Kommentars sagt: quod opus memoratum in tres libellos relevandae mentis gratia findi placuisset. Haußleiter 248.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 059. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S059.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)