Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

wirklich zwei Johannes gegeben haben, die beide am Ende des ersten Jahrhunderts lebten und beide in Kleinasien eine bedeutsame Rolle spielten?[1]

Von dem Schlußkapitel des vierten Evangeliums wenden wir uns den beiden kleinen Briefen zu, die unter dem Namen des Johannes überliefert sind. In ihnen führt sich der Verfasser bekanntlich schlechtweg als ὁ πρεσβύτερος ein. Da die Überlieferung diese Briefe unter die johanneische Literatur aufgenommen hat, so drängt sich auch hier die Vermutung mit großer Gewalt auf, daß „der Presbyter“ kein anderer sei, als der Presbyter Johannes des Papias. Die Papianischen Nachrichten zeigen zur Genüge, wie dieser Johannes zu dem Ehrennamen des πρεσβύτερος κατ᾿ ἐξοχήν kommen konnte. Ein Bedenken erhebt sich hier allerdings: Wenn der Presbyter des Papias zugleich der Apokalyptiker sein sollte und, wenn wir Grund haben anzunehmen, daß wirklich die uns vorliegende Apk von dem Apokalyptiker Johannes selbst geschrieben sei, so müßten wir nunmehr den Verfasser von II. III Joh und den Verfasser der Apk identifizieren. Gegen eine solche Identifikation scheint aber die ganz andersartige Eschatologie der Briefe zu sprechen. Für den Apokalyptiker ist die letzte und höchste feindliche Gewalt das römische Imperium, der Verfasser der Briefe scheint bei der Weissagung des Antichrist (II 8) nur an die Irrlehre zu denken. Die Irrlehrer der Briefe selbst aber zeigen gegenüber denen der Apk einen entschieden fortgeschrittenen, spezifisch christologischen Charakter. Damit hängt auch die energische Hervorkehrung der Begriffe ἀλήθεια und διδαχή zusammen. Andrerseits freilich zeigen die beiden kleinen Briefe und die sieben Sendschreiben eine ausgesprochene Ähnlichkeit weniger im einzelnen, als in der ganzen Haltung. Es wäre doch vielleicht möglich, daß der Apokalyptiker Johannes, der ja bis in die Zeiten Trajans gelebt haben soll, nachdem er unter Domitian (93 n. Chr.) die Apk geschrieben, acht bis zehn Jahre später, nachdem sich die Verhältnisse dem römischen Reich gegenüber zunächst etwas friedlicher gestaltet hatten und der Kampf gegen eine gnostisierende Irrlehre die Aufmerksamkeit der Gemüter auf sich gelenkt, seine Frontstellung in den Briefen etwas verändert hätte, ohne natürlich seine in der Apk niedergelegten Anschauungen prinzipiell aufzugeben[2]. Zugleich würden wir bei dieser Annahme


  1. Davon unabhängig ist die Frage für wen der Verfasser des 21. Kap. den langlebigen Jünger gehalten habe. Wenn man zum Beweise dafür, daß im Sinne dieses Verfassers jener Jünger der Zebedaide Johannes sein solle, sich auf die im ganzen Evangelium erstmalige Erwähnung der Zebedäussöhne 21,2 beruft, so gilt dagegen, daß nach dem Sprachgebrauch des vierten Evangeliums, den der Verfasser von Kap. 21 teilt [wenn es nicht überhaupt identisch mit dem Verfasser von Kap. 1-20 ist: Theol. Rundschau VIII 232,3], der ungenannte Jünger nicht unter den οἱ τοῦ Ζεβεδαίου, sondern unter den daneben erwähnten ἄλλοι ἐκ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ δύο (21,2) zu suchen ist. Daß hier die Zebedäussöhne genannt werden, rührt daher, daß die der Legende von Kap. 21 zugrunde liegende synoptische Überlieferung diese Figuren bereits bot. Joh 21 ist bekanntlich eine Bearbeitung einer Erzählung, wie sie Luk 5,1-11 bietet.
  2. Eine ähnliche, aber mit andern unhaltbaren Hypothesen belastete Vermutung bei J. Weiß, Offenbar. d. Joh. S. 155ff. In diese spätere Zeit wird die Erzählung vom Zusammentreffen des kleinasiatischen Johannes mit dem Ketzer Cerinth zu verlegen sein, die uns Irenäus (III 3 = Eus. H. E. III 28,6; IV 14,6) unter Berufung auf Polykarp überliefert. Auch diese Tradition kann nicht aus der Luft gegriffen sein.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 043. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S043.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)