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V. Wir können aber unsern Beweis noch verstärken, wenn wir nunmehr den gesamten johanneischen Schriftenkreis in unsre Untersuchung hineinziehen. Denn wenn es auch aus innern Gründen unmöglich ist, daß Evangelium, Briefe und Apk tatsächlich aus einer Hand stammen, so will doch andrerseits die Tatsache respektiert werden, daß die kirchliche Überlieferung von ältester Zeit her die johanneischen Schriften als eine Einheit betrachtet hat und nur von einem Johannes weiß (s. o. S. 21 u. ö.), dessen Person für sie hinter dem ganzen Schriftenkreis steht, und daß selbst die alten Bekämpfer der johanneischen Schriften die sogenannten Aloger (s. o. S. 24) diese als eine Einheit betrachten[1].

Was ist nun von dem Johannes, der nach kirchlicher Überlieferung hinter dem Evangelium und den Briefen steht, zu halten und in welcher Beziehung steht dieser zu dem Apokalyptiker und dem Presbyter? Ich beginne mit dem sogenannten Nachtragskapitel (Kap. 21) des vierten Evangeliums. In diesem Kapitel tritt uns der Jünger, aus dessen persönliche Autorität sich das vierte Evangelium stützt, in greifbarer Gestalt entgegen. Wir entnehmen aus dem 21. Kap., daß dieser betreffende Jünger so lange lebte, daß das Gerücht entstand, er werde die Parusie des Herrn noch erleben, ja daß sogar ein Herrenwort dieses Inhalts über ihn von Mund zu Mund ging. Mittlerweile war aber der Jünger — vor Abfassung des Kap. 21 des vierten Evangeliums — gestorben und nun beeilt sich der Verfasser dieses Kapitels zu versichern, der Herr habe jene Weissagung, daß der Jünger nicht sterben werde, nicht gesprochen; wenn er etwas Ähnliches gesagt habe, so habe er es anders gemeint. Im übrigen aber tritt in diesem Abschnitt der ungenannte Jünger in einen gewissen Gegensatz zu dem Märtyrer Petrus. Er kann jedenfalls kein Märtyrer gewesen und muß eines friedlichen Todes gestorben sein. Man kann sich dem Eindruck nicht entziehen, daß dieser ungenannte Jünger eine historische, in der Nähe des Verfassers von Kap. 21 lebende Gestalt ist[2]. Nun hieß jener Jünger nach der Tradition Johannes, und das Evangelium, das nach ihm den Namen trägt, zeigt deutliche Spuren kleinasiatischen Ursprungs (s. S. 44). Also tritt uns auch hier ein kleinasiatischer Johannes, der lange lebte und eines friedlichen Todes gestorben ist, folglich nicht mit dem Märtyrer und Zebedaiden Johannes identisch sein kann, entgegen. Sollte nun dieser kleinasiatische langlebige Johannes nicht identisch mit dem Apokalyptiker und dann auch mit dem Presbyter sein? Die Vermutung drängt sich mit stärkster Gewalt auf. Oder sollte es


  1. Der Versuch des Dionysius von Korinth bei Eus. H. E. VII 25 für Apk und Evangelium verschiedene Verfasser anzunehmen, kann sich auf eine ältere Tradition nicht berufen. Denn die zwei Gräber des Johannes, die man nach ihm in Ephesus zeigte (VII 25,16), beweisen nur, daß man sich dort über die echte Grabstätte des einen Johannes nicht im klaren war.
  2. Ganz anders urteilt E. Schwartz a. a. O. S. 48ff., gegen Schwartz vgl. meine Ausführungen Theol. Rundschau VIII 234ff.
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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 042. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S042.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)