Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Nur eine Ausnahme ist in dem ganzen Chor von Zeugen vorhanden: Hieronymus steht unter morgenländisch-palästinensischem Einfluß. Im Brief an Dardanus charakterisiert er die Stellung der morgen- und abendländischen Kirche zum Kanon damit, daß jene den Brief an die Hebräer, diese die Apk annehmen. Er neigt dennoch dazu, die Apk unter die kanonischen Schriften zu rechnen (epist. 123,3, Vallarsi I, 97,1). Genauer weist er psalm 149, Migne P. L. 26. 1343 C. ([apoc] quae in ecclesia legitur et recipitur, neque enim inter apocryphas scripturas habetur sed inter ecclesiasticas) die Apk einer Mittelklasse zwischen kanonischen und apokryphen Büchern zu. Er kennt auch die Tradition von zwei kleinasiatischen Johannes. Sonst taucht in der abendländischen Kirche nur hier und da die Erinnerung daran auf, daß die Apk im Morgenland nicht zu den anerkannten Schriften gehört (Sulpicius Severus, Chronic. II, 31, Junilius s. o.).

Ganz plötzlich und unerwartet kommt in der abendländischen Kirche noch in später Zeit ein Widerspruch. Das Capitulare Aquisgranense[1] (789) entfernt stillschweigend unter Anerkennung der Beschlüsse der Synode von Laodicea (can. 59) die Apk aus der Reihe der kanonischen Schriften, aber es hat in diesem Verfahren im Abendland keine Nachfolge gefunden.

Jahrhunderte später aber erwachte die altkirchliche Kritik an der Apk zu neuem Leben[2]. Kein geringerer als Erasmus in seinen Annotationes[3] zum neuen Testament nahm sie in Anlehnung an Hieronymus unter Hinweis auf die altkirchliche Tradition, auf die Sprachverschiedenheiten zwischen Evangelium und Apk und den in dieser ausgesprochenen Chiliasmus wieder auf. Von den Reformatoren unterschied zuerst Carlstadt (libellus de canonicis scripturis 1520)[4] die Bücher des neuen Testaments in drei Klassen und stellte in die dritte II, III Joh, II Pt, Jud, Jak, Hbr, Apk. Er lehnt sich dabei direkt an Erasmus an. Luthers keckes und geniales Urteil[5] über die Apk ist bekannt. Aber schon in seiner Schrift gegen Ambrosius Catharinus macht Luther Gebrauch von Apk 9,7-12 und gibt eine Exegese zu dieser Stelle. Dann gab er 1528 in antipapistischem Interesse den comment. ante centum annos editus heraus. Wesentlich dies Interesse mag es auch wohl gewesen sein, das ihn allmählich zu einem günstigeren Urteil über unser Buch bewog, das er in der Vorrede von 1534 niederlegte. Das allerwesentlichste ist aber, daß Luther seinem Urteil über die von ihm abgelehnten neutestamentlichen Bücher (Jak, Jud, Hbr, Apk) auch dadurch äußerlich Ausdruck verlieh, daß er diesen Schriften in seiner Ausgabe des neuen Testaments


  1. Corpus juris Germanici ed Walter, Tom. II, 77f. cap. 20.
  2. vgl. zum folgenden Oeder, christlich freie Untersuchung (s.  u.) 51f. 313; Hartwig, Apologie III 35ff.; Bleek, Einleitung in den Brief an die Hebräer 449ff.; Lücke 893ff.; die Einleitungen von Holtzmann² 177ff.; Jülicher 3. u. 4. A. 440.
  3. Kurz bereits in der Ausgabe von 1516, ausführlicher seit 1522.
  4. Abgedruckt bei Credner, zur Geschichte des Kanons p. 291ff. vgl. Welche Bücher heilig und biblisch 152. Lücke 8990.
  5. Vorrede zur Offenb. Joh in der ersten Ausgabe d. deutschen NT 1522 bei Walch, Luthers Schriften XIV 12f.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen: , 1906, Seite 031. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S031.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)