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Zusammenhange. Die Zukunft hängt dem Apokalyptiker nicht vom Tun und Lassen der Menschen ab, wie dem Propheten, er kommt daher nirgends von seiner Weissagung zu einer konkreten Erfassung der Pflichten der Frommen in der Gegenwart. Was er verkündet, ist Gottes und der überirdischen Gewalten Tun und Handeln. Aber weil nun doch der Apokalyptiker das große Gericht Gottes verkündet, so verbinden sich an diesem Punkt mit den religiösen Hoffnungsgedanken unmittelbar sittliche Motive stärkster Art. Diese Motive stehen aber mit dem speziellen Inhalt der apokalyptischen Weissagung nur in losem Zusammenhang, sie wachsen deshalb aus dieser nicht unmittelbar hervor, sondern treten ziemlich unvermittelt, nur durch den Gedanken des großen Gerichtes Gottes lose mit dieser verbunden, neben sie. Daraus erklärt sich die Struktur der meisten jüdischen Apokalypsen. In ihnen treten die ethischen Ermahnungen in besondern Abschnitten neben die Abschnitte apokalyptischer Weissagungen und Enthüllungen transzendenter Geheimnisse. So stehen im älteren Teil des äthiopischen Henochbuchs die speziellen Paraenesen am Anfang und am Schluß des Buches, im slavischen Henochbuch bilden sie den zweiten, vom ersten scharf abgegrenzten Teil, in den Testamenten wechseln Weissagungen und Ermahnungen, so daß letztere das Übergewicht haben. Im II Bar und IV Esr sind allerdings die beiden Elemente stärker in einander verwoben. Aber in unserer Apokalypse findet sich wieder — abgesehen von einzelnen, über die ganze Apk zerstreuten kurzen Wendungen — das paraenetische Element in den Briefen am Anfang für sich.

Ein bemerkenswertes Nebenelement der Apokalyptik ist übrigens auch das Gebet. Wie dieses in der gesamten spätjüdischen Literatur überhaupt eine Rolle spielt, so auch in der Apokalyptik. Eine besonders wichtige Offenbarung wird gewöhnlich durch ein kürzeres oder längeres, oft sehr langes Gebet eingeleitet. Vorbildlich ist auch hier Daniel mit dem neunten Kapitel seiner Weissagung geworden. Jede der ersten Vision des IV Esr ist mit einem entsprechenden Gebet eingeleitet, auch der Verfasser der II Baruchapokalypse verwebt eine Reihe von Gebeten in seine Weissagung. Die Johannesapokalypse hat keine Gebete, aber auch sie hat ein Mittel, durch welches der einförmige Verlauf der Weissagungen und apokalyptischen Bilder wirkungsvoll durchbrochen wird. Das sind die zahlreichen ein gestreuten kleinen prächtigen Hymnen, deren Form wohl bereits dem christlichen Gottesdienst entlehnt ist. Eine ganz besondere Stilart ist endlich durch das achtzehnte Kapitel, das Klagelied über den Fall Babels, repräsentiert. Es hat seine Parallelen in den mannigfachen sibyllinischen Drohliedern gegen Rom, wie sie namentlich im fünften Buch der Sibylle vorliegen.

So laufen die Fäden überall hinüber und herüber. Unser Buch ist weder seiner ihm zu Grunde liegenden Weltanschauung, nach seiner äußern Form nach eine isolierte Erscheinung, sondern es gehört nach seinem Inhalt zum großen Teil und ganz und gar nach seiner Form in die mit Daniel beginnende Schriftgattung der Apokalyptik hinein. Daß es innerhalb dieser Literatur in mancher Hinsicht eine besondere Stellung einnimmt, ist bereits hervorgehoben. Und betont mag schon hier werden, daß weit darüber

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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen 1906, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S018.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)