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Nach dem, was oben über die Ausnahmestellung der Johannesapokalypse im Punkte der Pseudonymität gesagt ist, werden wir übrigens von vorn herein erwarten dürfen, daß in ihr auch das vaticinium ex eventu nur eine geringe Rolle spielt. Dennoch ist dies Element apokalyptischer Weissagung hier nicht verschwunden. Wenigstens müssen wir im Sinne des Schriftstellers, der die Apokalypse, wie sie uns vorliegt, geschrieben hat, in Kap. 11,1-2 und Kap. 12 rückwärtsschauende Weissagungen annehmen. Sichtlich schaut der Verfasser hier auf die Zerstörung Jerusalems, die Geburt Christi und seinen Kampf mit dem Teufel, die Verfolgung der ersten Christengemeinde zurück. Die Weissagung ist also nur noch Form. Aber auch hier ist, wenn wir von dem kleinen Fragment 11,1-2 absehen, das vaticinium ex eventu nicht das oberflächliche Mittel, die Sicherheit der noch ausstehenden Weissagungen zu garantieren. Sondern der Rückblick in die Vergangenheit und in die Kämpfe, die hier mit dem alten Erbfeind, dem Teufel, bereits ausgefochten sind, verfolgt den Zweck, der gegenwärtigen Generation zu zeigen, wo sie jetzt siehe, und ihr den Mut für den noch ausstehenden Kampf zu stählen.

Mit dem tatsächlich vorhandenen Element des vaticinium ex eventu hängt ja nun auch die sogenannte zeitgeschichtliche Deutung der Apokalypse zusammen. Denn diese Elemente der apokalyptischen Weissagung erhalten naturgemäß ihre Deutung aus der Geschichte, namentlich aus der in der unmittelbaren Zeitnähe des Schriftstellers liegenden Geschichte. Hier in diesem Punkt ist mit Recht neuerdings zur Vorsicht gemahnt. Man hat wohl zeitweilig die Apokalyptik so angesehen, als bestände sie wesentlich aus vaticinia ex eventu, d. h. man hat sie zu einer Farce gemacht. Demgegenüber wird im allgemeinen daran festzuhalten sein, daß dem Apokalyptiker seine Weissagung kein Spiel, sondern Ernst ist, und daß er wirklich Zukunftsweissagung bringen will. Aber die Art, wie jene Zukunftsweissagungen entstehen, aber haben wir bereits oben geredet. Sie sind natürlich zum Teil auch aus zeitgeschichtlichen Verhältnissen herausgewachsen. Aber es treten hier nun ganz neue Elemente und Hülfsmittel ein, deren sich der Apokalyptiker bedient: alte geheiligte Traditionen und Bilder, Mythen und mythologische Vorstellungen, die er nicht erfindet, nicht den Verhältnissen seiner Gegenwart entnimmt, und die für alle rein zeitgeschichtliche Deutung unlösbar bleiben.

Achten wir endlich noch auf die mit der apokalyptischen Zukunftsweissagung verbundenen Nebenformen. In erster Linie kommt hier natürlich die Paraenese in Betracht. In der prophetischen Rede war die Paraenese ein und alles, sie ist der Endzweck aller prophetischen Rede, und was die Propheten von Vergangenheit und Zukunft predigen, steht mit diesem Endzweck in unmittelbarem Zusammenhang. Es ist nicht zu verkennen, daß sich in der apokalyptischen Literatur die Weissagung selbst zum Selbstzweck auswächst, daß der Apokalyptiker durch seine strahlenden Zukunftsbilder vor allem Trost in die Herzen der leidenden Frommen gießen will. Die eigentliche sittliche Ermahnung steht mit diesem Zwecke nur in loserem

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Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen 1906, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S017.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)