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und Bild und Sache sich nie ganz decken, dann auch daran, daß das Bild überschüssige Züge erhält, die nicht gedeutet werden können. Man würde also verkehrt handeln, wenn man in diesem Fall à tout prix alles in der apokalyptischen Allegorie deuten und auflösen wollte. Man wird in dem Gesicht Dan 7 nicht alle Schwierigkeiten wegexegesieren dürfen, man wird vielmehr z. B. aus der künstlichen Zählung der vier Reiche entnehmen dürfen, daß die Zahl vier für die Tiere resp. für die Weltreiche dem Apokalyptiker von vornherein feststand[1]; man wird weiter annehmen, daß die Gestalten der Tiere, deren historisch-allegorische Deutung so unendliche Schwierigkeiten macht, dem Apokalyptiker im großen und ganzen gegeben waren; man wird diese Anschauung auch auf die zehn Hörner des vierten Tieres und den Zug der Beseitigung der drei Hörner durch das elfte auszudehnen haben. Man wird sich sagen müssen, daß niemals weder ein jüdischer noch ein christlicher Apokalyptiker die Geburt des Messias so geschildert haben würde, wie dies Apk 12 geschieht, wenn er nicht hier von einer alten mythologischen Tradition abhängig gewesen wäre[2]. Darin gerade besteht die Kunst der Auslegung derartiger verwickelter Allegorieen, daß man das in ihr überkommene tradierte Element von dem neu hinzugefügten vorsichtig scheidet. Eine derartig gestaltete apokalyptische Allegorie hat oft eine ganze Geschichte hinter sich. Oft wird sich diese nicht mehr rekonstruieren lassen. Dann kann man nur an den vorliegenden Auslegungsschwierigkeiten auf eine solche Geschichte schließen und diese vielleicht hypothetisch rekonstruieren. Oft aber sind wir in einer günstigeren Lage. Der Vorrat der Apokalyptiker an derartigen Bildern ist nicht allzu reichlich. Dasselbe Bild taucht an den verschiedensten Stellen apokalyptischer Überlieferung auf, und diese apokalyptischen Bilder sind dann oft, wie eine nähere Vergleichung zeigt, nicht einfach von einander abhängig, sondern weisen auf eine gemeinsame ältere Überlieferung zurück. Es wäre auch ganz verkehrt, bei dieser Erforschung der Quellen der apokalyptischen Allegorie den Blick auf die Literatur des alten Testaments und des späteren Judentums zu beschränken. Wenn irgendwo, so spielt bei derartigen apokalyptischen, kosmologischen und kosmogonischen Phantasieen und volkstümlichen Vorstellungen die Grenze der Nation und der nationalen Religion keine Rolle. Schon der allgemeine Stil, in dem die apokalyptischen Allegorieen gehalten sind, in seiner bizarren und fremdartigen Mannigfaltigkeit, der grotesken Phantasie, den glühenden Farben hebt sich von der Stilart alttestamentlicher Literatur und Prophetie stark ab und bleibt, von dorther gesehen, ein unlösbares Rätsel. Nichts ist daher verkehrter als in der Apokalyptik nur etwa eine kunstvolle haggadisch-midraschische Weiterführung der Prophetie zu sehen und anzunehmen, diese lebendigen volkstümlichen Phantasieen seien aus schriftgelehrter Betrachtung des Buchstabens der Schrift erwachsen. Diese protestieren mit ihrem ganzen Wesen dagegen. Selbst da, wo derartige Phantasieen sich direkt an einen Buchstaben der alten heiligen Schriften anlehnen, muß man


  1. Vgl. z. B. auch im griechischen Estherbuch den Traum des Mardochai, der sich nicht als reine Allegorie zur folgenden Erzählung auflöst.
  2. WS: Fußnote wohl entfallen. Im Original gleiches Ankerzeichen wie die vorherige Fußnote.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Bousset: Die Offenbarung Johannis. Göttingen 1906, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bousset-S010.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)