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Neu aufgefundene Briefe des Dante Allighieri.
(Fortsetzung aus Nr. 149.)

     Nicht viel später als dieser Brief dürfte der dritte an den Marchese Maroello Malaspina, den der Dichter darin seinen Gebieter, sich selbst aber dessen Diener nennt, abgefaßt sein. Völlig abgesehen von dem weitern Inhalte dieses Briefes, ist schon der bloße Umstand, daß Dante in solcher Weise an Maroello Malaspina geschrieben, von dem größten Interesse. Daß nämlich unter den mehren zu Anfang des 14. Jahrhunderts lebenden gleichnamigen Mitgliedern dieser Familie nur der berühmteste, nämlich der Marchese di Giovagallo, Sohn des Manfredi Lancia und Enkel des Currado l’Antico („Purg.“, VIII, 119), Gemahl der Alagia de’ Fieschi („Purg.“, XIX, 142) gemeint sein könne, scheint nach Allem, was wir von den Lebensumständen dieser Personen wissen, unbedenklich. Grade zu diesem Maroello soll aber nach dem Berichte Boccaccio’s (in Dante’s Leben und im Commentar zur „Hölle“), Benvenuto’s von Imola und Filippo Villani’s Dante ziemlich früh während der Dauer seines Exils sich geflüchtet und, namentlich bei ihm verweilend, um das J. 1307 die schon in Florenz begonnenen, seitdem aber von dem Dichter selbst beinahe vergessenen ersten Gesänge der „Göttlichen Komödie“ von den in der Heimat zurückgebliebenen Freunden erhalten haben. Maroello wäre es nach dieser Erzählung gewesen, der seinen Gast durch Bitten bewogen, das angefangene Werk fortzusetzen, und zum Danke dafür hätte ihm dieser das „Fegefeuer“ gewidmet. Obgleich wie nun aber aus einem Friedensschlusse zwischen dem Bischof von Luna und mehren Malaspinis vom 6. Oct. 1306 (bei welchem Dante Franceschino von Mulazzo und Corradino von Villafranca, die Enkel des andern Vatersbruders jenes Maroello, vertritt) wissen, daß Dante schon damals im Thal der Magra weilte und mit der Familie Malaspina befreundet war, und obgleich eine Stelle des „Fegefeuer“ (VIII, 138) ungefähr für dieselbe Zeit ein näheres Verhältniß mit jener Familie bezeugt, so haben doch schon Andere mit Recht behauptet, daß es wenigstens für 1307 völlig unmöglich sei, sich Maroello Malaspina als Dante’s Gastfreund zu denken. Nachdem nämlich dieser Feldherr durch eine Reihe von Jahren an der Spitze der unserm Dichter feindlichen Partei gestanden und namentlich 1302 die Weißen bei Serravalle aufs Haupt geschlagen („Inf.“, XXIV, 148), war er es gewesen, der nach einer durch die Hungersnoth der Belagerten denkwürdigen Belagerung Pistoja, die letzte ghibellinische Stadt in Toscana, für Florenz und Lucca eingenommen und es dann im Namen der letztern Republik des zum Frühjahr 1307 als capitano del popolo verwaltet. Gewiß, nach solchen Vorgängen konnte Maroello es nicht sein, unter dessen Schutz Dante sich zu dieser Zeit begeben. Anders aber gestalteten sich die Sachen in den nächsten zwei Jahren. Die scheinbar vermittelnde Stellung Clemens V. hatte theils die Parteien einander näher gebracht, theils war für Dante, wie schon erwähnt, alle Hoffnung auf das Obsiegen der Ghibellinen verschwunden, theils endlich waren 1308 zwischen Maroello und dem guelfischen Florenz schwere Mishelligkeiten ausgebrochen. So können wir uns denn um so weniger verwundern, wenn wir den der Familie schon befreundeten Dichter um das J. 1309 oder 1310 in einem nähern Verhältnisse zu deren ihm einst so feindlichen Haupte finden, als wir denselben Maroello etwa ein Jahr später auch von Heinrich VII. hochgeehrt und als kaiserlichen Vicarius nach Brescia gesandt sehen. In ähnlicher Weise fand Dante auch seine letzte Zuflucht bei einem Guelfen, bei Guido Novello von Polenta.

     Daß nun diese Möglichkeit, der Dichter habe die Jahre vor Heinrich’s Römerzuge an Maroello Malaspina einen Beschützer gefunden, eine Wirklichkeit ist, daß die Nachrichten jener alten Biographen nicht völlig erfunden sind, und daß die neuesten Schriftsteller mit Unrecht nur Franceschino Malaspina von Mulazzo als Dante’s Wirth anerkennen wollen, beweist uns, fast zu unserer Überraschung, der neuentdeckte Brief. Selbst die Erzählung von den aufgefundenen und nachgesandten Gesängen mag im Wesentlichen wahr, aber umgebildet sein. Vielleicht enthielten die zurückgelassenen Papiere die später im „Convito“ erläuterten Canzonen, vielleicht sandte Dino Frescobaldi, den Boccaccio uns nennt, sie an Franceschino, Dante’s damaligen Wirth, welchen die Sage nachher mit dem berühmtern Maroello verwechselte, vielleicht wurde dies Ereigniß wirklich Anlaß, daß Dante das „Convito“ ausarbeitete. Zwar haben Scolari und Fraticelli („Opere minori di Dante“, Florenz 1836, II, 2, S. 557–636) neuerlich behauptet, der zweite und vierte Abschnitt jenes Buches