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Schwarzen begünstige, und nachdem er sich am 8. Mai zu einer Reise nach Pistoja hatte bereden lassen, gelang es ihm nicht mehr, in Florenz Aufnahme zu finden. Der gegenwärtige, vermuthlich im März 1304, und zwar vom obern Arnothal, wohin die Mehrzahl der Verbannten sich geflüchtet, geschriebene Brief nun läßt uns glauben, daß der von den Schwarzen dem Friedensstifter gemachte Vorwurf schwerlich ein ganz unbegründeter war. Es ergibt sich daraus, daß der Cardinal seine Thätigkeit mit der Sendung eines Frater L. an die verbannten Weißen begonnen und ihnen dabei brieflich volle Wiedereinsetzung in ihre alten Rechte und Reorganisation ihres Vaterlandes im Sinne jener Vertriebenen verheißen. So wissen sie denn Worte des Dankes, die ihnen genügend schienen, nicht zu finden und versichern, die Demüthigung ihrer Gegner (adversarios nostros ad sulcos bonae civilitatis intenditis remeare) nur zum wahren Heile ihrer Heimat zu begehren. Zugleich versprechen sie, nach dem Begehren des Cardinals sich aller Feindseligkeiten gegen die Schwarzen zu enthalten und die endlichen Friedensbedingungen allein jenem Vermittler zu überlassen.

     So bitten wir denn – heißt es zum Schlusse – Euer gnadenreiches Wohlwollen inbrünstig und mit kindlicher Stimme, daß Ihr auf unser so lange erschüttertes Florenz den Schlaf des Friedens und der Ruhe träufeln, daß Ihr sein Volk immerdar in Euern Schutz nehmen, uns aber, und die mit uns sind, als ein liebender Vater Euch empfohlen haben wollet, die wir so wenig von der Liebe unsers Vaterlandes jemals abgefallen sind, als wir die Schranken Euerer Gebote je zu übertreten gedenken, sondern vielmehr den letztern, wie sie auch lauten mögen, so pflichtmäßig als gehorsam Folge zu leisten verheißen.

     Der zweite Brief ist ein Beileidsschreiben an Oberto und Guido Grafen von Romena, wegen des Todes ihres Vaterbruders, des obenerwähnten Heerführers der Weißen, Alessandro. Troga („Veltro alleg.“, S. 96) führt Alessandro da Romena zu Ende 1308 noch als lebend auf. Dagegen werden bei dem Römerzuge Heinrich VII. (1311) nur die übrigen Grafen Guidi, seine Verwandten, genannt. Aus dieser Zwischenzeit, grade der Zeit, in welcher Dante sich am tiefsten gebeugt fühlte, und in der vermuthlich das „Convito“ und die Schrift: „De vulgari eloquio“, entstanden, rührt also unser Brief her. Über das Verhältniß des Dichters zu dem Verstorbenen, von dem wir bisher so gut als nichts wußten, findet sich hier Folgendes:

     Euer Onkel .... war mein Gebieter, und sein Andenken wird mich, so lange ich noch in der Zeitlichkeit lebe, beherrschen; denn sein Großmuth, der jetzt über den Sternen mit würdigem Lohne reichlich gelohnt wird, machte mich ihm unerbeten seit jahrelanger Vergangenheit ergeben. Diese Tugend war es, die, zu allen andern in ihm gesellt, seinen Namen über die Verdienste anderer italienischer Helden verherrlichte..... So klage denn, ja es klage der größeste Stamm in Toscana, der von solch einem Manne erglänzte; klagen sollten seine Freunde, klagen seine Diener, deren Hoffnungen der Tod nun grausam gegeißelt hat. Unter diesen Letzten klage denn auch ich Ärmster, aus der Heimat Verstoßener und unschuldig Verbannter, der, wenn ich meine Unfälle erwog, stets meine Sorgen durch die Hoffnung auf ihn beschwichtigte..... Drum ermahne ich Euch, meine werthesten Gebieter, mit bittlichem Zuspruch, daß Ihr Euern Schmerz mäßiget, und Dessen, was Ihr für diese Welt verloren, nur gedenket, um darin ein Vorbild Eures Wandels zu finden; damit Ihr in Zukunft, wie er Euch, als die ihm dem Blute nach Nächsten, gerechterweise zu Erben seiner Güter eingesetzt, so auch mit seinen makellosen Sitten Euch bekleiden möget. Schließlich aber vertraue ich noch außerdem Eurer einsichtigen Erwägung, daß Ihr meine Abwesenheit bei dem bevorstehenden thränenreichen Begräbniß entschuldigen wollet. Wahrlich, nicht Lässigkeit ist es, noch Undank, die mich zurückhalten, sondern allein die unvermuthete Armuth, welche die Verbannung über mich gebracht hat. Sie ist es, die, eine unversöhnliche Verfolgerin, mich der Pferde und Waffen beraubt, in die Höhle ihrer Knechtschaft verstoßen und den mit aller Kraft sich wieder zu erheben Bestrebten bisher mit Übermacht grausam festzuhalten nicht abläßt.

      Außer dem lebhaften Interesse, das dieser Brief an sich schon gewährt, gibt er auch für die Entstehungsgeschichte der „Göttlichen Komödie“ einen erheblichen Aufschluß. Allgemein nämlich wird die Herausgabe der „Hölle“ um das Jahr 1308 gesetzt; die entgegengesetzte Meinung, daß Dante diesen ersten Theil seines Gedichts erst um das Jahr 1314 habe bekannt werden lassen, die früher Dionisi verfochten, und die ich alsdann im „Parnasso italiano“ zu begründen versucht, hat meines Wissens nur die, freilich gewichtige Beistimmung von Blanc gefunden. Nun ist es aber gradezu unmöglich, daß der Dichter zu den Grafen Guidi und von ihrem Oheim Alessandro in der oben angegebenen Weise um die gleiche Zeit gesprochen habe, in welcher er drei dieser Brüder wegen Falschmünzerei in die Hölle (XXX, 77) versetzte. Erinnern wir uns dagegen, wie schlecht jene Grafen den von Dante ausgesprochenen Hoffnungen entsprachen, wie zweideutig, ja zum Theil gradezu feindlich sie 1311 und 1312 trotz heuchlerischer guter Worte gegen Dante’s Helden, Heinrich VII., zu Werke gingen, so begreifen wir, wie der Dichter um das Jahr 1314 über die jüngst Gepriesenen seine Geißel schwingen konnte. Zu diesen Gründen, welche die Beendigung der „Hölle“ bis 1314 hinausschieben, tritt auch die, früher von mir nicht hervorgehobene gehässige Art hinzu, mit welcher in derselben (XIX, 82) von Clemens V. gesprochen wird. So lange nämlich das gute Vernehmen zwischen diesem, sogar für ghibellinisch gehaltenen Papst und der Partei des Dichters, insbesondere mit Heinrich VII. selbst, bestand, konnte Dante unmöglich so, wie er es am angeführten Orte thut, von dem sichtbaren Haupte der Kirche sprechen, wie er denn auch noch in dem Briefe an die italienischen Fürsten, dessen Original jetzt aufgefunden ist, um das Ende des Jahrs 1310 vom Kaiser sagt: „quem Clemens, nunc Petri successor, luce apostolicae benedictionis illuminat“.

(Die Fortsetzung folgt.)