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nur manches, wenn auch noch so entlegenes darunter, bei Leutsch gelernt, sondern er gab mir früher und später guten Rat, und vor allem gab er, der selbst einsame, wunderliche Mann, mir das Bild und Beispiel eines unendlich fleißigen, wenig erfolgreichen Gelehrten, eines Arbeiters, der ob seines kargen Lohnes für diese seine Arbeit, wenn sie auch noch so gering war, doch hier auf Gottes Erde und unter Gottes Sonne wohl noch finsterer hätte aussehen dürfen, ohne daß die leichtgeschürzten und schnell fertigen jungen Gesellen sich darüber hätten wundern müssen. Ein Bild, an das ich oft und immer zu meinem Heile mich erinnert habe, wenn es mir später einfiel, meinem Schöpfer einen Wechsel zu präsentieren über ein Mindestmaß von Glück, mit dem ich zufrieden sein zu wollen mich vermaß. – Doch ich vergesse den Anlaß zu dieser Betrachtung. Als ich zum ersten Male seine mit allen erdenkbaren Veranstaltungen zur Förderung gelehrten Fleißes ausgestatteten Arbeitsräume betrat, fragte er mich, ob ich mich schon mit einem Schriftsteller beschäftigt hätte, zu dem es Scholien gäbe. Ich wußte nur Juvenal zu nennen. „Die Scholien sind Schund,“ sagte er, „und wenn Sie nichts weiteres wissen, so fangen Sie nur gleich bei Homer an.“ Nun arbeitete ich Iliasscholien, ohne Neigung, aber mit dem festen Vorsatze, hier zu irgend einem Ziele zu kommen, eine Schulung wissenschaftlicher Askese, zu der ich mir, ehe sie begann, auch in den Stunden tiefster Ergebung nicht den Mut zugetraut hätte. Aber es lohnte sich auch das. Meine Dissertation, die aus diesen Arbeiten hervorging – Quaestionum Aristarchearum specimen primum – war wissenschaftlich wertlos.[1] Ein weiteres Spezimen erschien nicht, zum Homer kehrte ich mit gelehrten Absichten überhaupt nicht wieder zurück. Etwas später schrieb ich in Berlin auf E. Gerhards Wunsch eine ausführliche Besprechung von seines Freundes Blackie eben erschienener Iliasausgabe.[2] – Ich hatte den Wert des wissenschaftlichen Arbeitens an sich – der Tugend ohne die Lust – an mir erfahren und außerdem hier den Ausgangspunkt gefunden, von wo ich später fast die ganze griechische Scholien- und Lexikographenlitteratur bis auf wenige Rückstände durcharbeitete. Ich sagte mir dann wohl, das verdankte


  1. Ich promovierte 1865 in Göttingen in Philologie und alter Geschichte. Die Dissertation widmete ich meinem Freunde Hermann Hitzig, wie er mir bald darauf die seinige, beide mit dem Motto: „magna gloria inde non nascitur“. Leutsch wies nämlich einst ein Seminarmitglied darauf hin, daß dessen Plato-Konjektur schon bei Heindorf stände. Als der Student sein Urheberrecht damit verteidigte, daß er erst „hinterher“ Heindorf eingesehen habe, gab ihm Leutsch zur großen Erheiterung der übrigen in seinem trockenen Tone jene Antwort.
  2. Homer and the Iliad by John Stuart Blackie, 4 vols. London 1866. Neue Jahrbb. 1868, 577.
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Verschiedene: Biographisches Jahrbuch für Alterthumskunde, 18. Jahrgang (1895). S. Calvary & Co., Berlin 1896, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Biographisches_Jahrbuch_f%C3%BCr_Altertumskunde_18_168.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)