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wurde, außer, wenn es an die Erklärung der tragischen Chöre ging, von seiner Seite kaum ein Wort deutsch gesprochen. Daß dabei der Geist des griechischen Altertums nicht zum vollen Ausdrucke kam, brauche ich nicht hervorzuheben. Aber Kenntnisse im Griechischen und Lateinischen konnte man sich erwerben, wenn man wollte. Außer dem philologischen Unterrichte gab er in Prima Deutsch (Aufsätze und Literaturgeschichte, sogar neueste), Hebräisch und philosophische Propädeutik. In Sekunda hatte er sich einen Teil der griechischen Lektüre, außerdem Geographie und Englisch vorbehalten, in Tertia gab er stets eine Stunde deutsch-lateinische Übersetzung. Leider hatten wir nicht Geschichte bei ihm. Gelegentlich baten wir ihn um eine Extralektion, in der wir begierig auf jedes Wort horchten. Diesen Unterricht, zu dem er geeignet war wie kein anderer, wollte er dem, der sich für den eigentlichen Historiker hielt, nicht nehmen, so wenig Freude dieser auch uns und sich damit bereitete. Zu dieser einzigen Vielseitigkeit des Direktors kam seine feste, einfache, durch und durch originelle Persönlichkeit. Heute würde man wohl sagen, daß er uns Primaner mehr als Studenten, zu wenig als Schüler nahm. – Den völligen Gegensatz zu ihm stellte der Ordinarius der Sekunda, Dr. Gevers, dar. Ein kleiner, schmächtiger, überlebendiger Herr mit dünner Stimme und hastigen Bewegungen, vielleicht ohne das, was man Würde zu nennen pflegt, dafür aber Geist und Leben in jedem Worte, das er sprach, und in Gesellschaft von feinen, einnehmenden Manieren. Ihm war fast der ganze Unterricht des wichtigen Übergangsalters anvertraut, und er erfüllte diese Aufgabe so, daß meine Altersgenossen und ich, wenn wir später darauf zurückkamen, nur mit Bewunderung an diesen Mann denken konnten. Er hat kein Denkmal irgend einer Art erhalten, weil er auch niemals eine Abhandlung über eine der vielen wichtigen lateinischen oder griechischen Partikeln veröffentlicht hat, – hätte es aber verdient, und darum darf ich seiner wohl etwas ausführlicher gedenken. Er hatte unter Otfried Müller studiert, über Pseudo-Lysias’ Epitaphios promoviert, sonst aber nichts gelehrtes mehr geschrieben, und die vorgeschrittenen Autoritäten unter unseren Sekundanern hielten ihn nicht für einen „Philologen“, das wollte sagen: Lesarten, an denen unser Direktor gern unsern Scharfsinn übte, ließ er beiseite. Die Prosaiker Herodot und Cicero erklärte er kurz und, wie es schien, nach zufälligen Eindrücken. Er ließ viel lesen, auch Homer wurde nur kursorisch gelesen, 100 Verse mußten für die Stunde präpariert sein. Dagegen erklärte er eingehend, lebendig, manchmal geradezu hinreißend Horazens Oden und Vergils Eklogen und Theokrit. In der Prima behandelte er in derselben Weise Tacitus. Wir haben uns oft gestanden, daß wir für diese von Gevers behandelten Schriftsteller allein unter

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Verschiedene: Biographisches Jahrbuch für Alterthumskunde, 18. Jahrgang (1895). S. Calvary & Co., Berlin 1896, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Biographisches_Jahrbuch_f%C3%BCr_Altertumskunde_18_162.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)