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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia)

das uns beschäftigt, einen Anhalt für die Annahme modernen Ursprungs. Der Blätterkelch ist vielmehr ein durchaus antikes, aus der Ornamentik des korinthischen Capitells heraus entwickeltes Motiv, bestimmt, die menschliche Gestalt mit tektonischen Gliedern zu verbinden. Allein unsere Aufgabe ist hiermit noch nicht vollständig gelöst; der Nachweis der Verwendung des Blätterkelchs in Reliefs und Malereien, in Erz- und Thonarbeiten reicht noch nicht aus für die Erklärung seiner Verbindung mit einem in Marmor über Lebensgröße ausgeführten Bildniss.


III. Die Form der Büste.

Seit Visconti’s Abhandlung[1] und dem sehr unzulänglichen Versuch von Gurlitt, welcher durchaus von Visconti abhängt[2], ist die Frage nach dem Ursprung der Büste im Gegensatz zur Herme nur gelegentlich berührt, nicht erschöpfend behandelt worden. Benndorf und Schöne, die Verfasser des Verzeichnisses der lateranensischen Bildwerke, haben bei Gelegenheit zweier römischer Porträtbüsten in tempelartigem Ueberbau[3] nach Visconti’s Vorgang die römischen imagines maiorum, die bemalten Wachsmasken, wie sie im Atrium des Hauses in Schränken (armaria) aufbewahrt wurden, als das Vorbild der Büstenform angesehen[4]. Helbig[5] hat dagegen auszuführen gesucht, dass die Büste vielmehr eine griechische Erfindung der Diadochenzeit und zwar der Bronzetechnik sei, wobei er sich hauptsächlich auf die Münzen und Gemmen jener Zeit beruft. Die letztere Ansicht, welche auch von Friederichs getheilt wurde[6], hat offenbar große innere Wahrscheinlichkeit für sich; gewiss ist aber früh die kunstvolle griechische Büstenform auf das römische Ahnenbild übertragen worden. Wie dem aber auch sei, sobald einmal der menschliche Körper nicht ganz, sondern nur in seinem Obertheil, mit Brust und Armen, oder auch nur der Kopf für sich aufgestellt werden sollte (wie das


  1. In der Vorrede zum sechsten Bande des Museo Pio-Clementino.
  2. J. Gurlitt Versuch über die Büstenkunde (zuerst 1799) in dessen archäologischen Schriften herausgegeben von Corn. Müller (Altona 1831) S. 189 ff.
  3. Benndorf und Schöne S. 208 Nr. 343, 345; vorher Schöne und Henzen im Bullettino von 1866 S. 99 ff.
  4. Ueber die imagines maiorum, ihre Form und Aufstellung, haben nach Eichstädt und Quatremère de Quincy neuerdings Marquardt im Handbuch V 1 S. 246 ff. und Mommsen im römischen Staatsrecht 1 S. 358 ff. gehandelt. Die kleine Abbildung in Rich’s illustriertem Wörterbuch der römischen Alterthümer S. 319, von einem nicht näher bezeichneten Grabrelief, giebt, wenn sie überhaupt hierher gehört, wenig Aufschluss.
  5. An der schon öfter angeführten Stelle seines Buches über die campanische Wandmalerei S. 49 ff.
  6. Darauf, dass sie auch von mir schon bei der früheren Besprechung der Clytiabüste geäussert wurde, lege ich kein Gewicht; Uebereinstimmung im Irrthum pflegt im ganzen häufiger zu sein als im selbstständigen Auffinden der Wahrheit.
Empfohlene Zitierweise:
Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia). Berlin: W. Hertz, 1873, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bildnis_einer_R%C3%B6merin_24.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)