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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia)

streben, nicht aber, wie bei dem Capitell, dieselben mit nach oben gerichteten Spitzen wie ein Kelch umschliessen.

Beide Arten des Blätterornaments, das Auslaufen in Blattranken und das Umschlossensein vom Blätterkelch, sind mit richtigem Gefühl zu verschiedenen Zwecken verwendet worden. Offenbar hat das korinthische Capitell in seinem durch allerhand mit dem Akanthos nicht zusammenhängende Gegenstände erweiterten Schmuck auch dazu Veranlassung gegeben, die menschliche Gestalt ganz oder halb, oder auch nur das menschliche Haupt anstatt des Säulenschaftes aus dem Blattkelch gleichsam hervorwachsen zu lassen.

Am nächsten der Verwendung der menschlichen Gestalt am Capitell steht das Relief. Gleichsam ein Rudiment des Akanthosschmuckes der Säule ist ja der Blätter-und Blüthenschmuck des Akroterions; auf einem Akroterion findet sich in der That eine ganz analoge ornamentale Verbindung. In seinem bekannten Werk über die Gräber der Hellenen publicierte Stackelberg in einer nach seiner Art ein wenig ergänzten und verschönerten Darstellung das ‚Akroterion einer marmornen attischen Grabstele‘, wie er sagt, ‚vermuthlich aus der Zeit der Ptolemäer (er dachte dabei wohl an die verschleierten Bildnisse aegyptischer Königinnen auf Münzen), geschmückt mit Akanthosblättern nebst zwei schneckenartig gewundenen Akanthossprossen, die in Rosetten endigen und über welchen das halbe Schattenbild oder Eidolon einer verschleierten Abgeschiedenen in nachdenkender Stellung ihr Haupt auf die Rechte stützend hervorwächst, und zugleich lange schmale Blütenblätter palmettenförmig um sie her sich ausbreiten‘[1]. Es ist auf Taf. III Fig. 1 nach Pistolesi’s Abbildung verkleinert wiederholt worden. Die aus dem Akanthoskelch hervorsprossenden Ranken dienen in diesem anmuthigen Werke gewiss griechischer Arbeit wie eine Brüstung gleichsam zur Stütze der Arme; ein Motiv, das sonst, so viel ich sehe, nicht wieder vorkommt.

Die schönen Akroterien, Antefixe und Reliefplatten aus gebranntem Thon, welche in Italien gefunden werden und aus den Sammlungen Canova’s im Vatican und den früher Campanaschen besonders bekannt, jetzt aber auch in anderen


  1. Stackelberg Gräber der Hellenen S. 43 ff., die Abbildung bildet die Schlussvignette auf S. 44. Die Abbildung in A. Schöll’s archäologischen Mittheilungen aus Griechenland nach C. O. Müller’s hinterlassenen Papieren 1 (1843) Taf. VI ist nur eine Wiederholung der Stackelbergischen. Das Akroterion befindet sich jetzt in der vaticanischen galeria lapidaria und ist abgebildet bei Pistolesi il Vaticano descritto Bd. 3 Taf. 52, vgl. die Beschreibung Rom’s II 2 S. 35 Anm. 4; worauf mich Heydemann aufmerksam machte und welches Matz bestätigte. Helbig (campanische Wandmalerei S. 40 Anm. 2) bezweifelt mit Unrecht die Identität; Stackelberg sagt ausdrücklich: ‚der Abgeschiedenen beschädigtes Angesicht erscheint in vorliegender Darstellung mit punktierten Umrissen ergänzt‘, und Pistolesi giebt dem entsprechend das Gesicht schraffiert.
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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia). Berlin: W. Hertz, 1873, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bildnis_einer_R%C3%B6merin_17.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)