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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia)

Es ist leicht möglich, dass sich unter den namenlosen Frauenbildnissen aus derselben Zeit, welche uns erhalten sind, noch dies oder jenes ebenfalls ähnliche Stück befindet. Nur scheint mir sicher, dass wenn das Bildniß irgend einer jener kaiserlichen Frauen beabsichtigt war, der Künstler die Wirklichkeit auf das schmeichelhafteste übertrieben haben müsste: soviel schönere Formen und soviel anmuthigeren Ausdruck zeigt die Clytiabüste, als alle jene Münz- oder Gemmenbilder und Statuen oder Büsten. Nirgends aber lässt sich eine schlagende Benennung auf die Vergleichung begründen. In den offiziellen Catalogen des brittischen Museums wird der Kopf daher im ganzen zutreffend bezeichnet als ‚ein weibliches Bildniss, vielleicht das einer Kaiserin aus der augustischen Zeit‘. Verkehrt aber ist es durchaus, an eine Darstellung der betreffenden Kaiserin mit göttlichen Attributen, etwa (wegen des Blattkelchs) ‚in der Gestalt der Isis‘[1], zu denken; die völlige Abwesenheit des Diadems oder anderer Attribute zeigt vielmehr auf das bestimmteste, dass nur eine Fixierung der menschlichen Erscheinung beabsichtigt war. Ich halte jedoch nicht einmal die Zugehörigkeit zum kaiserlichen Hause für erweislich; man wird richtiger sagen ‚Bildniss einer unbekannten (aber sicherlich vornehmen) römischen Frau, von einem unbekannten (aber höchst geschickten) griechischen Künstler, und zwar etwa aus dem zweiten Viertel des ersten Jahrhunderts‘. Mehr lässt sich mit einiger Bestimmtheit nicht feststellen.

Die Musterung der langen Reihe von der Clytia nahe verwandten Köpfen, welche die Kunst des ersten Jahrhunderts geschaffen hat, ist mithin freilich für die Bestimmung der Person der Dargestellten resultatlos; aber sie liefert den Beweis, dass die Auffassung und Behandlung des Bildnisses an sich keinen Grund zur Annahme modernen Ursprungs bietet.


II. Der Blätterkelch.

Das Motiv des korinthischen Capitells, der Akanthosblattkranz, über dessen höchst mannigfaltige Verwendung in der späteren Architectur es genügt auf die Werke von Hirt[2] und Bötticher[3] zu verweisen, ist seinem Ursprunge entsprechend vielfältig in sehr freier Weise zum Schmuck verwendet worden auch da, wo seine eigentliche Bestimmung, die Vermittelung zwischen der tragenden Säule und


  1. Wie es in dem bekannten Handbuch von Vaux S. 193 heißt und noch in dem oben S. 10 Anm. 1 angeführten Aufsatz von King] S. 30. Die Berufung auf aegyptische Gemmen mit dem Isiskopf im Lotoskelch vermag ich nicht zu verificieren.
  2. Die Baukunst nach den Grundsätzen der Alten S. 80 ff.
  3. Tektonik 2 S. 112 ff. mit Taf. 42 ff.
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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia). Berlin: W. Hertz, 1873, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bildnis_einer_R%C3%B6merin_13.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)