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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia)

so fallen, da auch von Seiten der Ueberlieferung kein Grund des Verdachtes vorliegt, die Zweifel an der Aechtheit damit von selbst zu Boden.


I. Der Kopf.

Wäre dieser Kopf als das Fragment einer Statue gefunden worden, oder im Bruststück den gewöhnlichen Büsten ähnlich geformt, so würde seine wissenschaftliche Bestimmung aller Wahrscheinlichkeit nach keine besonderen Schwierigkeiten gemacht haben.

Dass er keinen idealen Typus darstellt und schon damit alle Deutungen auf Clytia – auch abgesehen von dem nachher zu besprechenden Blattkelch – und ähnliches hinfällig sind, ist einleuchtend. Auch gehört nur geringe Vertrautheit mit den Verschiedenheiten der einzelnen Epochen der antiken Kunst dazu, um zu erkennen, dass, den antiken Ursprung einmal vorausgesetzt, zum mindesten in der Zeit vor Alexander ein solches Werk überhaupt nicht geschaffen werden konnte. Die Züge prägen auf das deutlichste eine bestimmte Individualität aus, wenn auch vielleicht in idealisierender Weise, wie nachher zu erörtern sein wird: es ist nicht zu bezweifeln, dass ein Bildniss beabsichtigt ist. Die leichte Andeutung des Gewandes um Brust und Schultern bietet keinen genügenden Anhalt zu näherer Feststellung der dargestellten Person, obgleich das Gewand, wie nachher gezeigt werden soll, nach einer andern Seite hin für die Deutung verwerthbar ist. Nur die Technik im ganzen und im besonderen die Haartracht und ihre Behandlung lassen bestimmtere Schlüsse zu. Beide weisen mit Bestimmtheit nicht auf die Kunst der Zeit Alexanders und seiner Nachfolger, sondern vielmehr auf die von jener abhängige griechisch-römische Kunst des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung. So wenig auch noch die Kunst dieses Jahrhunderts im einzelnen auf Grund der sicher datierten Werke untersucht ist, über ihren Charakter im allgemeinen ist kein Zweifel mehr. Nicht die einfache Wiedergabe der Natur, sondern eine berechnete Wirkuug, in dem vorliegenden Fall der Eindruck des Gefälligen, verbunden mit großer Sorgfalt und Glätte in der Durchführung des Einzelnen, zuweilen auf Kosten sogar der Wahrheit, sind ihre hervorstechenden Eigenthümlichkeiten. Die im bewussten Gegensatz zu der Schärfe älterer Werke weiche und malerische Behandlung der Augen (denen jedoch die erst nach Hadrian aufkommenden Augensterne fehlen; und des Mundes, wodurch der schmachtende Ausdruck erreicht wird, ist an einer ganzen Anzahl von Werken dieser Zeit zu bemerken. Ueber das Vermögen und die Leistungen der Sculptur jener Zeit in der Wiedergabe idealer und realistischer Gegenstände ist neuerdings, hauptsächlich auf die Anregung von Brunn’s Forschungen,

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Emil Hübner: Bildnis einer Römerin, Marmorbüste des Britischen Museums (die sogenannte Clytia). Berlin: W. Hertz, 1873, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bildnis_einer_R%C3%B6merin_07.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)