Das Motiv des Sonnetts gründet sich auf eine im Publikum geläufige Lokalsage, welche sicherlich ihre Entstehung dem zweifelhaften Ausdrucke der Hauptfiguren verdankt. Diess Werk Tizian’s hat noch einen besondern Werth durch das, so viel bekannt, einzige Bildniss der Lucrezia, von welcher sonst nur noch Medaillen und die berühmte schöne blonde Haarlocke in der Biblioteca Ambrosiana in Mailand existiren.
Der Gegenstand des Bildes scheint der Erzählung des Plutarch entnommen, wonach Ninus der Semiramis auf einen Tag die Regierung übergeben habe, und ihr letzter Tagesbefehl die Ermordung des Ninus gewesen sei. (S. Έρωτιχος des Plutarch, Ed. di Parigi, Tom. II., pag. 753.)
Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass die Verdienste des tüchtigen, akademisch-naturalistischen Bildes durch die Idee des Sonnettes nicht beeinträchtigt werden sollen, die sich vielmehr gegen jene Richtung überhaupt wendet, welcher der geistige Inhalt des Gegenstandes nicht die Hauptsache ist. Eine Richtung, welche gerade diesen Gegenstand häufiger als andere gewählt hat.
Wie bekannt, wurde diess Bild lange Zeit für das Bildniss des Herzogs Sforza von Mailand, gemalt von Leonardo da Vinci, gehalten. S. Einleitung des Gallerie-Cataloges, S. 23.
Gilt von jeher für das Bildniss des Malers und seiner Frau.
Diess Bild wurde von Schinkel als Motiv zur Dekoration der Scene in Gluck’s Oper „Armida“ für die Berliner Bühne benutzt, wenn Rinald in die Zaubergefilde Armidens eintritt.
Text von Julius Hübner: Bilder-Brevier der Dresdner Gallerie. Verlagsbuchhandlung von Rudolf Kuntze, Dresden 1857, 1859, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bilder-Brevier_der_Dresdner_Gallerie.pdf/242&oldid=- (Version vom 31.7.2018)