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 Am meisten geschah in jenen Tagen für die gelehrten Schulen. Hatte Georg der Fromme an die Spitze seines 1529 gegründeten schola Latina den Vincentius Obsopoeus (Speisemacher = Koch † 1539) gesetzt und Georg Friedrich, sein Sohn 1543 (im Todesjahr seines Vaters) diese Anstalt in sechs Klassen geteilt (Rektor, Konrektor, Präzeptores), so war es der trefflichen Markgräfin Witwe, nachdem sie das 1726 erhaltene Brevet zur Errichtung einer Universität (zu Gunzenhausen, Krailsheim, Feuchtwangen) nicht hatte ausnützen können, ein Herzensanliegen, in Ansbach ein Gymnasium illustre zu haben, welchem sie einen Teil der Schüler aus der aufzulösenden Fürstenschule zu Heilsbronn (gegründet 1581) beifügen wollte. Sie selbst konnte nur die von Retti entworfenen Pläne ansehen, deren Durchführung ihrem Sohn verblieb. Am 12. Juni 1737 ward der Bau am Westende der Stadt, der noch Reste alter Gebäude, vielleicht auch eine Totenkapelle in sich schließt, feierlich eingeweiht. Rektor Öder, der spätere Feuchtwanger Dekan, sprach über 2. Kor. XII. 7–9, der Konrektor Joh. Gg. Strebel verfehlte nicht lateinisch zu reden, vier Oberklässer, unter denen ein Hannoveraner, Tiling von Stade sich hervortat, trugen selbst verfaßte Gedichte vor, eines mit dem Refrain:

„Beschütze die zartesten Sprossen der Liebe,
Damit sie kein stürmendes Wetter zerschellt.

 Gemeint ist der Erbprinz Alexander, nach dem Tode des Erstgeborenen, Karl Friedrich August die Hoffnung des Landes. „Die getreue Hand streute getreuen Weihrauch dem, der von der edlen Zucht erlauchter Brennen (Brennaborg!) stammt.“ Pindus’ stolze hohe Musen und Götter müssen zum Feste zitiert werden. Auch der Rektor versäumt nicht „des jetzt einzigen Jedidja“ (2. Sam. 12, 25), des allerteuersten Erbprinzen zu gedenken, spricht aber ernste Worte von aufmerksamen Ohren, gehorsamen Herzen, fleißigen Händen, empfiehlt die starke „Aufrechterhaltung und Vertheidigung der christlich evangelischen Kirche, der reinen Religion der Gottseligkeit“. Das Gymnasium Carolinum illustre stand unter Aufsicht des Konsistoriums, das alljährlich je nach Ostern und nach Michaelis visitierte und visitieren ließ. In der großen Aula wurden schriftliche Arbeiten für die vier oberen Klassen abgehalten, die am Montag darauf mündlich geprüft wurden, die 1. und 2. Klasse prüfte der Rektor selbst. Ferien sollten nur 14 Tage während der Canicularia sein, also im August. Dem Religionsunterricht galt volle Beachtung: christliche, Billigkeit und Sanftmut gegen die Dissentientes sollte bei aller Beharrlichkeit im Eigenen nicht fehlen. Gesänge in der Kirche und bei Leichenbegängnissen werden den Schülern zugemutet, doch ohne Schädigung ihrer Hauptpflichten. Alle Festtage und Sonntage werden die Predigten vor- und nachmittags besucht, sowie Betstunden in der Woche von allen, die Freitagspredigt von den oberen Klassen.

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Aus Ansbachs vergangenen Tagen. Fr. Seybold’s Buchhandlung, Ansbach ca. 1912, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Bezzel_Aus_Ansbachs_vergangenen_Tagen_12.png&oldid=- (Version vom 19.7.2016)