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einem kleinen Mahl bewirthet. Jetzt wird unter allerlei, oft nicht gerade feinen Scherzen „der Tisch gerückt“ zur Probe, ob der Tisch wackelt d. h. ob die Frau das Regiment hat, und festgestellt, daß sie definitiv aus dem Stand der Jungfrauen geschieden ist, auch von der künftigen Gevatterschaft geredet.

Das einförmige Leben, das nun beginnt, hat für jede Tageszeit, jeden Wochentag und jede Jahreszeit seine regelmäßige Arbeit und erhält nur durch die häuslichen Feste seine Unterbrechung.

1. Die Niederfallet Ps. 95, 6 s. OA.Beschr. Mergentheim S. 156. Auch die Erntetaglöhner werden eingeladen und erhalten ein großes Brot mit, die Dienstboten ein Erntegeschenk von 1–1,5 M.

2. Das Brechen von Hanf und Flachs im Herbst wo die einzelnen Häuser sich gegenseitig helfen und das junge Volk die Zeit mit Scherzen und loser Rede sich vertreibt, die keinen im Dorf schont, gehört zu den heitersten Zeiten des Jahres.

3. Weinlese, leider seit vielen Jahren spärlich, daher auch wenig mit Feuerwerk gefeiert. S. OA.Beschr. Mergentheim S. 157. Wird Wein aus dem Keller verkauft, so wird nach dem Laden im Hause Schrotwein getrunken. Obstmost ist erst seit ca. 40 Jahren eingebürgert.

4. Metzelsuppen s. OA.Beschr. Mergentheim S. 158 werden gerne an Aposteltagen im Winter gehalten. Von der Metzelsuppe erhalten Pfarrer und Lehrer die traditionellen Rippenstücke, wie an der Niederfallet Küchlich, an der Kerwe Weißbrot, vom Taufschmaus und der Hochzeit Fleisch und Brot. Das zum Entgelt gereichte Trinkgeld nimmt die ausgestreckte Hand mit dem stehenden: ’s braucht se net.

5. Backen. Mit dem Brot wandert stets ein „Gouloppe“ (Gugelhopfen) in den Ofen. Der Rest des Teigs gibt den „Gotteswillenlaib“, den an Arme zu verschenken Gewissenspflicht ist.

6. Bau. Mit dem wachsenden Wohlstand vergrößert der Bauer Scheune und Stall. Ein reich bebänderter und bekränzter Tannenbaum im Giebel und ein Zimmerspruch sind üblich. Auf die unten versammelten Kinder werden Huzeln herabgeschüttet, auch bei starkem Gedränge zur Abkühlung Wasser.

7. Handel. Bei jedem Guts- und Viehkauf kommen Nachbarn und Freunde herbei, um zu schmusen, dann wird „Weingoff“ (Weinkauf) getrunken, den der Verkäufer, resp. beide Theile zahlen.

8. Märkte, früher kleine Volksfeste, an denen in Niedernhall und Künzelsau die Bürgergarde ausrückte und die Thore besetzte, verlieren immer mehr ihre Bedeutung. Der Neusaßer Markt, einst die Muswiese der dortigen Gegend, ist eingegangen.

Des Lebens Jahrmarkt endet mit

9. Tod und Begräbnis. Vorzeichen des Todes sind der Ruf des Käuzchens, der Traum von einem ausgefallenen Zahn, eigenthümlicher Klang der Glocke, Zusammentreffen von Stundenschlag und Glockengeläute; ein im Traum gefühlter Schmerz zeigt einen besonders nahe gehenden Tod eines Verwandten an.

Im Augenblick des Verscheidens wird ein Fenster geöffnet, damit die Seele gen Himmel ziehen kann. Kinder werden Engel. Solange der Todte im Hause ist, darf kein Rad weder am Wagen noch an der Kunkel gehen. Leichenwache s. Oberamtsbeschreibung Mergentheim

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_128.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)