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14 Tage vor der Kerwe wird sie „angetrunken“. Der Wirth weiß dann, auf wie viele Paare er rechnen muß. Gebacken wird Blôtz, Weck oder dicke Kuchen, d. h. weiße Laibe, Butterkuchen aus feinem Schwingmehl. Die Mahlzeit besteht aus „grünem“ d. h. frischem Rindfleisch, Kalbfleisch, Meerrettig, Küchlich (Heuküchlich, den Fåschetküchlich ähnlich). Dienstboten und Arme werden reich beschenkt, die Verwandten besuchen sich; Abends führt der Bauer die Bäurin ins Wirthshaus. Unterlassung dieses Brauchs ist die schwerste Beleidigung der Frau.

Kärwemeindi ist Feiertag, an dem nicht gearbeitet wird. Die Kinder tragen Feiertagskleidung.

An mehreren Orten des Jagstthals wird Abends, wenn im Freien, um 4 Uhr, wenn im Wirthshaus, um 7 Uhr, das „Tüchle“, in Belsenberg und Umgegend früher ein Hammel, in Mulfingen ein Geicker (Hahn) herausgetanzt. Ein Strauß, ein Tannenbäumchen, behängt mit Blumen, Taschentüchern, Haube, Kravatte wandert durch die Hände der tanzenden Paare. Neben den Musikanten steht eine Kerze, in welche ca. 1,5 cm unter der Flamme, ein Zwanzigpfennigstück gesteckt ist. Der Tänzer, welcher den Strauß in dem Augenblick in Händen hat, wenn die Münze fällt, hat gewonnen.

Zum Kirchweihtanz, an dem sich Jung und Alt betheiligt, werden die Mädchen von den Burschen unter Musik und mit einer bändergeschmückten Kanne zum Willkomm abgeholt. Die Mädchen kaufen den „Kärwezucker“, der im Saal für Jedermann aufgestellt ist. Der Kärwewein wird besonders angemacht, um nicht zu stark zu wirken. Getanzt wird bis zum Morgen. Abends 9 Uhr wird zu Nacht gegessen, um 12 Uhr Kaffee getrunken. Am Sonntag darauf ist Nachkärwe.

Die ledigen Paare zechen bis 11 Uhr. Der Wirth muß den Kaffee unentgeltlich geben (Unt. Jagstthal). An der Kirchweih wie an Ostern erhalten die Kinder neue Kleider. Ein altes Kinderlied heißt:

Alte Rombombel, hols Wërgelholz hër,
Es ischt mer net annersch, as d’ Kärwe ball wär.

Einzelne besonders beachtete Tage sind: Valentinstag 14. Febr. Was an diesem Tag unternommen wird, fällt, geräth nicht. 24. März, an dem ein Stück Feld geschort wird (Crisp.). Hiob 9. Mai, an welchem Bohnen und Kartoffeln in den Boden müssen. Glückstage sind Dienstag und Freitag s. Lichtmeß. An diesen Tagen kommt neugekauftes Vieh in den Stall und wird junges Vieh angewöhnt. Der Donnerstag ist dies nefastus, an dem man nicht backen, graben, Dung hinuntereggen, Vieh einstellen und angewöhnen darf. Freitag um 11 Uhr wird mit allen Glocken geläutet (Schiedläuten). Alles, auch auf dem Feld, betet ein Vaterunser. Samstag Nachmittags wird der Sonntag eingeläutet. An diesem Tag wird kein Dung geführt (in Belsenberg in Folge eines Gelübdes bei einer Viehseuche), um mit der Arbeit für den Sonntag fertig zu sein. Denn Sonntagsarbeit bringt Hagelschlag.

Beim Abendmahl brennen auch in den evangelischen Gemeinden Wachskerzen auf dem Altar. In Künzelsau haben die Frauen, sonst die Männer beim Abendmahl den Vortritt.

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_123.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)