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sehen, wenn sie Nachts 12 Uhr unbekleidet, unbeschrieen und rückwärts gehend die Stube auskehren.

Weihnachten. Am heiligen Abend kommt das Christkindle, ein Mädchen von ca. 20 Jahren, in weiße Tücher gehüllt und mit einem Kranz auf dem Kopf, Schelle und Ruthe in der Hand. Durch die Gassen zieht der Pelzmärtel oder Botzamärtel mit vermummtem Gesicht, schlechten Kleidern und einer rasselnden Kette um den Leib durchs Dorf. Das Christkindle examinirt die Eltern und Kinder, während der Botzamärtel draußen rasselt, und schenkt dann „Dockelich“ (Marzipan). Der Botzamärtel, welcher den Christbaum holen will, wird von ihm mit der Ruthe vertrieben. Der Hausvater erhält vom Christkind Ruthen mit der Weisung: Wen sch net folgan, no schlogt er sch recht hëar.

Träume an Weihnachten werden wahr. Strohbänder, am Vorabend des Christfestes (in Westernh. des Epiphanienfestes) um die Bäume geschlungen, schaffen ein Obstjahr. S. auch Birlinger, Aus Schwaben II, 13. In Sindeldorf pflegte eine Frau, die zur Christmette ging, mit dem Fuß an den Obstbaum vor ihrem Haus zu stoßen, damit er trage. S. Birlinger l. c.

Von Weihnachten bis zum Erscheinungsfest sind die heiligen 12 Nächte, in denen das wilde Heer geht. Man darf weder Haare noch Nägel schneiden, keine Hülsenfrüchte, überhaupt kein aus Körnern bestehendes Gericht kochen. Aus Zwiebelschüsselchen, darein Salz gethan wird, erkennt man am andern Morgen den Charakter des folgenden Jahrs mit seinen 12 Monaten (trocken, naß). Man schneidet dazu eine Zwiebel durch und stellt 12 hälftige Schalen am Fenster auf.

Neujahr, 1. Januar ist das kleine Neujahr, Epiphanien das große. Am Sylvesterabend ist in den evangel. Orten Gottesdienst allgemein. In Kocherstetten wird Nachts von 12–1 mit allen Glocken geläutet, in Steinkirchen singt die Bürgerschaft unter der Linde einen Choral. Die Musikanten, „die ersten Bettelleute im Jahr“, ziehen, früher in den althohenlohischen Bauernorten unter Führung des Schäfers, der den Glückwunsch ausbrachte, durchs Dorf und spielen nach der Dorfrangordnung vor jedem Haus. In andern Orten ist Versammlung im Wirthshaus. Mit dem Schlag 12 erhebt sich Alles und wünscht sich Prosit Neujahr, die verheiratheten Männer gehen nun heim, die Ledigen schießen ihren Geliebten das Neujahr an.

In dieser Zeit ist auch die „Gemeindsverneuung“, Neubesetzung der niedern Gemeindeämter mit Verpachtung der Gemeindegüter.

Die Kinder holen bei den Pathen das „Doutensach“, Backwerk. Dazu erhalten die Knaben einen gebackenen Reiter, die Mädchen eine solche Spinnerin (Frau Holle). Westernhausen.

Epiphanien. Die früher auch in evangelischen Orten gesehenen Sternbuben mit Sternen auf Stäben ziehen heute noch in den katholischen Orten als Könige verkleidet, ein Schwert an der Seite, singend durchs Dorf und werden beschenkt.

Lichtmeß: bei Tag eß – ein Spindel vergeß. Der alljährliche Dienstbotenwechsel vollzieht sich. Die Ehelten oder Elten werden einige Monate zuvor auf ein Jahr mit ansehnlichem Weingoff (Haftgeld, Weinkauf) gedingt. Neben Lohn wird die Zug’hör (Bels., Hermuth.) oder Zug’höring: 20–30 Ellen Tuch (Leinwand), Wolle, Schuhe, ein

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_120.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)