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Gemeinden der Ipf, an Winterabenden Bücher der Ortslesebibliothek, auch das landwirthschaftliche Wochenblatt, dessen Einfluß aber durch die Macht der Gewohnheit und die Abneigung gegen das Neue geschwächt erscheint. Es läuft z. B. noch viel „Gold der Landwirthschaft“ in den Bach, wenn nicht das Ruggericht ab und zu einen scharfen Spruch thut. Denn der Bauer, wenn er nicht muß, regt auch hier weder Hand noch Fuß. Es bleibt bei der landläufigen Entschuldigung: Dazu hewwən mir Lait ka Zeit. Mr werd ohndem net fertig.

Die Nahrung bilden im Sommer vorwiegend Mehlspeisen, im Winter Kartoffeln und in der um Weihnachten beginnenden Ruhezeit kräftige Fleischkost.

Auch in den ärmeren Gemeinden wird im Winter ein Schwein ins Haus geschlachtet, beim Bauer fehlt die „Mastkuh“ nicht. Die Volksbelustigungen sind bescheidener Natur: Kinderfeste in Künzelsau, Ingelfingen, Dörzbach u. s. w., auf dem Land Kegelspiel im Sommer, „Vorsetz“ im Winter, Kartenspiel im Wirthshaus.

Reinlichkeit am Leib und in der Kleidung, reinliche Haltung der Schulkinder sind zu loben. Dagegen ist Reinlichkeit und Ordnung in den oft stattlichen Wohnungen mit freundlichen Blumenbrettern noch mehr zu wünschen. Die „Kammer“, das Schlafzimmer, ist meist ein Anstoß für den Arzt.

Kleidung. Die alte haltbare und originelle Tracht wird mehr und mehr durch einen städtischen Schnitt und leichte Stoffe („Flenderleswor“) verdrängt. Zur Erinnerung folgt hier eine Beschreibung der alten Tracht.

Männliche Tracht a) am Sonntag: der lange, dunkelblaue wollene „Mutzen“ oder Kirchenrock von lebenslänglicher Dauer, rother Brustfleck (Weste) mit großen Knöpfen gleich Dreibätznern und Sechsbätznern, gelbe oder schwarze lederne Kniehosen, weiße Strümpfe, Schnallenschuhe, beim Wohlhabenden mit silberner Schnalle, auf dem Kopf der nahezu ganz abgegangene Dreispitz, in Trauerfällen die Spitze nach vornen gerichtet; b) an Werktagen: wollenes Wamms, schneeweißer Fürschurz und die Kappe, die von der Wiege bis zum Grab nur beim Gruß und Gebet die gewohnte Stelle verläßt, (Einfluß israelitischer Sitte?) im Winter die Pelzkappe mit sorgfältig herabgeschlagenen Ohrenklappen.

Weibliche Tracht: enge, farbige Mieder mit seidenen Schnüren oder Silberkettchen, enger Leibrock mit frei über den Nacken herabhängenden Lappen, vielfaltiger, kurzer, „geschlagener“ oder Pappelrock, von Wolle, roth oder grün, rothe

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_118.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)