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Bei herannahendem Alter, oft schon mit 50 Jahren, denken die Eltern daran, åz’gewən. Eines der Kinder, nach der freien Wahl der Eltern, bekommt „das Sach“, den Hof oder ’s Werkle (großer und kleiner Grundbesitz, um darauf zu heirən, wenn sich ein „Anstand“ zeigt. Den Eltern wird der „Ausding“, Leibgeding oder freie Wohnung und Verköstigung, den unverheiratheten Geschwistern ein „Unterstand“ geschrieben. Da dem jungen Paar der elterliche Besitz zu sehr mäßigem Anschlag überlassen wird, so werden die andern Kinder mit verkürztem Erbtheil abgefunden, ohne daß deswegen Streit und Neid entstünde. Man weiß es eben nicht anders. Diesem Majoratssystem verdankt Franken seine großen Bauerngüter und auch bei „kleinen Leuten“ einen verhältnißmäßigen Wohlstand, der leider mehr und mehr durch die Hofmezger untergraben wird. Es ist hohe Zeit, daß die Gesetzgebung Wege findet, der Zerschlagung der Güter entgegen zu arbeiten, welche nur den Händlern Gewinn bringt, die Grundlagen des Wohlstands schädigt und die Käufer in Schulden stürzt, die nur den Wucher fördern.

Im Handel und Wandel, der seit dem dreißigjährigen Krieg in den Händen der von den geistlichen Herrschaften und kleinen Grundherren aufgenommenen Israeliten liegt, gilt der Grundsatz: D’Agən uf oder də’ Beidel. Mit freundlicher unschuldiger Miene den Vortheil auch dem Freund und Bruder gegenüber vergrößern ist Klugheit. Nur förmlicher Betrug wird verabscheut. Ob die Verschmitztheit im Handel Frucht des langjährigen Verkehrs mit Israeliten ist (OA.B. Mergenth. S. 121), mag dahin gestellt bleiben. Jedenfalls ist sicher, daß die Israeliten ganze Dörfer in der Tasche haben. So unentbehrlich dieselben dem Franken geworden, so gönnt ers ihnen doch, wenn sie einmal mit einem Gutskauf hängen bleiben.

In Betreff des vielgehörten Vorwurfs der Falschheit möchte geltend zu machen sein, daß dieselbe beim Landvolk allgemein nichts ist als der Ausdruck der Scheu und des Mißtrauens gegenüber dem Gebildeten und Höherstehenden. Beim Franken erscheinen dieselben leicht als Falschheit, weil er entgegenkommender, freundlicher, höflicher dem Fremden gegenübertritt, als andere Landleute. Maßvoller und redegewandter als der Schwabe, ist der Franke vorsichtiger in der Unterredung und geht nicht weiter ins Wasser, als er klaren Grund sieht, und behält das letzte Wort für sich. Daher: „er redt net aus, er gibt sich net raus.“ Wo der Schwabe kühn sagt: Es ischt so, sagt der Franke: es kaun oder werd so sannan. Hälts der Schwabe mit dem Brechen, so hälts der Franke mit dem Biegen.

Auf’s Ehre geben und nehmen im Umgang gibt der Franke viel. „Die Zeit nicht bieten“, d. h. grüßen, ist eine nie verziehene Beleidigung. Gerne thut man in Titulaturen ein Übriges. Der Wundarzt, sonst Bader genannt, ist in der Anrede der Herr Doktor, der Arzt in den althohenlohischen Orten der Herr Rath oder Hofrath, der Ortsvorsteher der Parzellen der Schulz, der Ortsvorsteher der Gesammtgemeinde der Stabschulz. Bei Besuchen auswärts seinen Wohlstand nicht „heraushängen“, aber durchfühlen lassen, ist dem Franken Bedürfnis. Gelesen wird außer „der Predig“ am Sonntag nach Tisch, dem Starkenbuch, Sonntagsblatt und Christenboten, das Blêtle im Wirthshaus, sc. der in Künzelsau erscheinende Kocher- und Jagstbote, in katholischen

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Julius Hartmann und Eduard Paulus der Jüngere: Beschreibung des Oberamts Künzelsau. Kohlhammer, Stuttgart 1883, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Beschreibung_des_Oberamts_Kuenzelsau_I_117.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)